Verrät der integrale Ansatz Jesus?

Veröffentlicht von

Vor kurzem las ich als Reaktion auf einen Blogbeitrag eines Kollegen die Aussage, die integrale Theorie sei des Teufels, um uns vom Wesentlichen abzulenken. Heute also die Frage: Verrät der integrale Ansatz Jesus?

Und: Was ist eigentlich das sogenannte Wesentliche?

Zunächst bleibt festzustellen, das die Sorge eine typisch blaue Sorge ist. Die Sorge vom rechten Weg abzukommen. Den in blau gibt es den ja noch, den richtigen, aber auch den falschen Weg, den Weg der Erlösung und den Weg der Verdammnis. Deshalb ist es da auch wesentlich, das richtige zu glauben. Dann ist die Angst groß vor Synkretismus, Häresie und Irrlehre.

In gelb ist das gar nicht mehr so einfach. Diese Gewissheit ist verloren gegangen. Alles ist relativ, nicht im Sinne von gleichgültig, sondern relativ im Sinne von abhängig von der Bezugsgröße, als Resultat von multidimensionalem, komplexem Denken. Unsicherheit ist zu einem fundamentalen Bestandteil des Lebens geworden. Gewissheit kann nicht mehr aus einem Text oder von einer Autorität her kommen, nur noch durch persönliche Erfahrung und Erkenntnisse in der Stille. Alles, was ich lese, wird daran gemessen, auch die Bibel.

Eine Gefahr des integralen Ansatzes sehe ich allerdings da, wo die Theorie dazu führt, dass die Praxis vernachlässigt wird. Denn die Theorie speist sich aus der Praxis, wird nur durch sie wirklich in ihrer Tiefe verständlich und ist ohne Praxis schlicht sinnlos. Dann wird sie tatsächlich zu einer Falle des Teufels, indem sie Menschen dazu bringt, gedanklich in elitären „gelben“ Gesprächen zu schwelgen, anstatt das zu tun, was gerade einem Mitmenschen oder uns selbst gegenüber angemessen wäre. Der Schatten von integral sei Arroganz, las ich vor kurzem. Und Hochmut wird bekanntlich traditionell zu den Todsünden gezählt.

Denn je mehr wir uns sicher im gelben Hafen angekommen wähnen, gar noch anfangen, uns fälschlicherweise über alle anderen Ebenen der Spirale erhoben zu fühlen, desto eher werden wir auf niedrige Stufen der Egozentrik oder in die Verteidigung einer Ideologie – in dem Fall den „Integralismus“ – zurückfallen. Um es mit lutherischer Theologie auszudrücken: Wir sind alle gleichermaßen Sünder und Gerechte, egal ob blau, orange oder gelb. Keiner hat es „geschafft“. Jeder Tag ist Gelegenheit unsere blaue, orangene oder gelbe Brille zu testen und gegebenfalls auszuwechseln oder zurechtzurücken.

Wer aber täglich praktiziert, das heißt Nachfolge übt (wie auch immer das im Detail für den Einzelnen aussehen mag, denn ich vermute, es ist bei jedem Menschen unterschiedlich), der verrät Jesus nicht. Ganz im Gegenteil. Er nimmt ihn ernst. Nur durch eigene Praxis – Handeln, Gebet und Reflexion – kommen wir dem Menschen, aber auch dem Gott Jesus nahe. DAS ist doch das Wesentliche: Das wir nicht aufhören, uns weiterzuentwickeln, dass wir wachsen und reifen in Liebe, in Weisheit und innerer Schönheit. Zumindest aus gelber Sicht.

Was meint ihr dazu?

7 comments

  1. Der Kollege, der das gesagt hat, ist wahrscheinlich evangelikal. Das ist tiefstes blau. Aber was die Arroganz der integralen Szene betrifft: Das ist auch manchmal mein Eindruck. Kennst du das Buch „Integrale Lebenspraxis?“ Wenn nicht, ist es sehr zu empfehlen.

    1. Ich kenne den Kollegen nicht persönlich, habe aber jetzt aber auch an anderer Stelle von solchen Bedenken gelesen. Und ja, kenne ich bereits, danke dir! Habe es bereits kurz auf dem Blog erwähnt unter „Praxis“, will aber noch mehr darauf eingehen, wenn ich dazu komme 🙂

  2. Liebe Sandra,

    ich halte den integralen Ansatz für sehr fruchtbar und erkenntnisreich im außerreligiösen Bereich, vor allem psychologisch, soziologisch oder humangeschichtlich.

    Ich habe aber in der Tat auch meien Zweifel, ob der integrale Ansatz mit dem christlichen Glauben vereinbar ist. Im integralen Bewusstsein gilt blau ja als nicht voll entwickelte Stufe des Gottesverständnisses. Aber was folgt denn daraus, wenn wir die blaue Stufe – die Unterscheidung „richtigen“ und „falschen Weg“, wie Du schreibst – hinter uns lassen?

    Handelt es sich dann nicht um eine Privatreligion, in der jeder sein eigenes Christentum zusammenbraut? Was bliebe da noch als letzter richtiger Weg, außer vielleicht dem Gebot der Nächstenliebe als kleinster gemeinsamer Nenner? Was die Frage aufwürfe, was den christlichen Glauben dann eigentlich noch vom Humanismus unterscheidet…
    Vielleicht bliebe dann noch als letzter Unterschied zum Humanismus der Glaube an das Leben nach dem Tod. Wobei man ja heute mehrheitlich davon ausgeht, dass wir alle schon irgendwie in den Himmel kommen werden (die Bibel, immerhin noch die wichtigste Grundlage des christlichen Glaubens, gibt zu derartigen Annahmen interessanterweise keinen Anlass…)
    Abgesehen davon: wenn wir die blaue Stufe hinter uns lassen, lassen wir auch einen GOTT hinter uns, der Wunder wirkt – warum trauen wir dem Allmächtigen eigentlich nicht mehr zu, dass er auch über die Grenzen menschlicher Erkenntnisse hinaus zu handeln fähig ist?

    Ich bin übrigens voll bei Dir, wenn Du schreibst, dass sich keine Stufe einer anderen überlegen fühlen soll. Das steht niemand gut an, und Christen ganz besonders nicht. Auch bspw. Anhänger der blauen Stufe sollen niemand verurteilen.

    Last but not least:
    Ob wir wirklich durch eigene Praxis Jesus nahe kommen, wie Du am Ende schreibst, das sei einmal dahingestellt. Würde dies nicht im krassen Widerspruch zum Gesamtzeugnis des christlichen Glaubens stehen, wonach Gott selbst eingreift und uns durch das Wirken seines Geistes Stück für Stück zu einem neuen Menschen macht (Hesekiel 11, Hesekiel 36, Johannes 3 usw.)? Mit dem Ziel, dass Christus immer mehr Gestalt in uns annimmt, wie es Paulus unter Anleitung des heiligen Geistes an verschiedenen Stellen lehrt?
    Natürlich ist Gebet wichtig, genau wie das Studium der Schrift. Aber lehrt die Bibel nicht, dass der Mensch jedes Vertrauen auf eigene Stärke unabhängig von Gott fahren lassen soll?

    Gott sei mit Dir!

    1. Hallo Nikodemus! Da hast du ja einen ganzen Haufen an Fragen aufgeworfen. Ich will versuchen, kurz aus meiner Sicht zu antworten. Ich bin mir allerdings bewusst, dass das sicherlich an deinen Bedenken nicht besonders viel ändern kann und du darfst diese selbstverständlich auch weiterhin haben.
      Du schreibst „Privatreligion, in der jeder sein eigenes Christentum zusammenbraut“. Das klingt nach Relativismus, völliger Beliebigkeit. Das ist aus meiner Sicht eine Tatsache, mit der viele große Probleme haben, dass wir schlussendlich alle Menschen unsere Wahrheiten, Meinungen und so weiter „zusammenbrauen“, da eben alles durch unser Bewusstsein vermittelt ist, aus dem wir nicht herauskommen, es sei denn eben durch höhere Bewusstseinszustände, in denen diese Trennungen nicht existieren. Der Unterschied ist nur, dass in Blau viele Menschen die Wahrheiten anderer, die in der Hierarchie oben stehen, übernehmen oder/und diese gegen andere Wahrheiten ausspielen. In Grün wird deshalb „Die eine Wahrheit“ abgelehnt, alles ist relativ. Gelb geht darüber nun wieder einen Schritt hinaus, indem es durchaus Hierarchien gelten lässt (es gibt Unterschiede, manche Deutungen sind angemessener, andere weniger etc.) und eine Wahrheit annimmt, diese allerdings durch die spirituelle Erfahrung wieder mehr Gemeinsamkeiten schafft als Trennungen. (Die Aussagen großer Mystiker zB. ähneln sich wieder)
      Zur Unterscheidung Humanismus/Christentum: Spannend finde ich ja, dass die russischen Religionsphilosophen hier vor allem das naive Menschenbild des Humanismus kritisieren, der davon ausgeht, dass alle Menschen an sich gut sind und die Sündenlehre außen vor lassen. Das auszuführen wäre allerdings ein eigenes Kapitel wert.
      Zu Wundern: Gerade auf gelber und den nachfolgenden Stufen wird der Glaube an Wunder wieder möglich, allerdings in einem anderen Sinn wie in Purpur, nicht als ein willkürliches Eingreifen eines höheren Wesens, sondern die gesamte Realität verwandelt sich zusehends in ein großes wundervolles Geschehen.
      Und zum Thema Praxis: Naja, „näher kommen“ im Sinne von der Erfahrung großer Intimität in der Erfahrung, ja. Gleichzeitig ist ja das tiefste Gebet als Schweigen nichts anderes als sich zum Gefäß Gottes machen, also passiv werden. Liebe Grüße

  3. Liebe Sandra,

    danke für Deine Antwort, leider komme ich erst jetzt dazu, zu schreiben.
    Ich kann einigen Deiner Aussagen schon etwas abgewinnen. Ich verstehe auch die Gefahren, die ein blaues Bewusstsein mit sich bringen kann.
    Aber wird der christliche Glaube ohne blaues Bewusstsein nicht seines Herzens beraubt? Da beißt sich für mich die Katze in den Schwanz. Ich will es am konkreten Beispiel festmachen.

    1.Stufe blau:
    Was wären denn für Dich die „Wahrheiten anderer“, die in der blauen Stufe gefährlich werden könnten?
    Die Frage ist m.E. weniger, was einzelne Menschen für Unfug mit Glaubenswahrheiten betreiben – die Gefahr gibt es immer -, sondern welche Glaubenswahrheiten das Christentum überhaupt preisgeben kann, ohne innerlich auszubluten.
    Nehmen wir doch einmal ein paar konkrete Glaubenswahrheiten aus der Bibel: die Bergpredigt und die zehn Gebote. Meine Meinung ist, dass beide unverzichtbare Kernbestandteile des christlichen Glaubebns sind. Dem Argument des möglichen Missbrauchs kann man m.E. entgegenhalten, dass wir in jedem Bereich des Lebens – nicht nur der Religion – Gesetze brauchen. Nehmen wir BGB oder Grundgesetz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ja ernsthaft behaupten würde, wir brauchen keine Gesetze, weil diese ja von irgend jemand eigenwillig interpretiert werden könnten.
    Wenn man die Bibel näher betrachtet, wird man erkennen, dass es keine Gebote gibt, die Deutungsmöglichkeiten offen lassen. Dazu kommt, dass es Jesus selbst war, der an zahlreichen Gelegenheiten die Gebote auslegte und seine Auslegung auch für uns maßgeblich bleibt.

    Ich drehe das Ganze mal noch weiter:
    Lebt Glaube nicht davon, dass man auf bestimmte Aussagen vertraut?
    Heute tendieren wir dazu, zuerst zu schauen, was für uns sinnvoll und bequem erscheint, und dann für uns anzunehmen – oder zu verwerfen.
    Aber warum versuchen wir fast nie, einmal zu überlegen, was Gott mit bestimmten, uns unbequem scheinenden Aussagen gemeint haben könnte?
    Könnte es nicht sein, dass sie letztlich doch zu unserem Guten gegeben wurden, und wir es, gefangen im Denken unserer Zeit, nur nicht gleich erkennen können?
    Wir wissen doch im Grunde unseres Herzens, dass Jesu Aussagen ins Schwarze treffen, selbst wenn sie manchmal weh tun…

    Oder geht es Dir eher um die Frage der Berechtigung biblischer Gebote überhaupt, und weniger um den möglichen Missbrauch? Das wäre dann nochmal eine andere Diskussion…

    2. Stufe gelb:
    Du schreibst, dass auf dieser Bewusstseinsstufe wieder „eine Wahrheit“ möglich sei, eine Wahrheit, die mehr Gemeinsamkeiten als Trennungen schafft.
    Meine Frage wäre dann, ob hier die zentralen Wahrheiten des christlichen Glaubens – der Mensch als Sünder, das Angebot des Herrn Jesus Christus Kraft seines Sühnetodes reuigen Sündern zu vergeben und ihnen das ewige Leben zu ermöglichen – noch einen Platz haben.

    Du sprichst ja oben davon, dass wir „alle“ Sünder seien. Ich frage mich aber, ob der Kern des christlichen Glaubens von ewigen Leben und ewiger Verdammnis nicht auch von einigen Menschen als „trennend“ oder diskriminierend empfunden werden können.

    3. Russische Religionsphilosophen: Meine volle Zustimmung in diesem Punkt!

    4. Wunder in Stufe gelb und höher:
    Hieße das nicht, wenn man den Gedanken zu Ende denkt, dass man ab Stufe gelb nicht mehr an einen auferstandenen Herrn Jesus Christus glauben kann? Jesu Auferweckung wäre doch genau dieses „Eingreifen eines höheren Wesens“, oder?

    Ich hoffe, Du lässt Dich nicht von meinen unbequemen Fragen entmutigen!

    Gnade und Friede wünsche ich Dir von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn!

    1. Hallo! Entschuldige die verspätete Antwort, bei mir ist gerade die ganze Familie erkältet. Ich freue mich, dass du deine Fragen mit mir teilst! 1. Gefährlich ist natürlich Missbrauch, aber gefährlich ist auch schon allein die Überzeugung, DIE EINE Wahrheit zu haben und zu wissen. Da beginnt m.E. bereits der Missbrauch einer Wahrheit, die mir vielleicht persönlich ganz wichtig ist, wenn ich beginne, sie anderen überzustülpen. Und ja, einem Staat brauchen wir Gesetze, aber Jesus hat die gesetzliche Stufe der Religion überwunden. Das Gesetz tritt nicht mehr von außen an „mich“ heran, sondern „ich“ erfülle es aus Einsicht und Erkenntnis heraus. Das setzt einen ganz anderen Reifegrad voraus. Das verstehen wir ja auch, wenn es um andere Bereiche der menschlichen Entwicklung geht, zB. dass ein kleines Kind erstmal einfach tut, was Mama und Papa sagen, das dann in verschiedenen Entwicklungsphasen immer wieder hinterfragt, Trotzphase, Pubertät usw. und irgendwann eigene Wege findet, wie es etwas tut etc. 2. Es ist wohl das umstrittenste überhaupt, was nun zu dem „Kern des christlichen Glaubens“ überhaupt gehört. „Verdammnis“ für mich zB. definitiv nicht. Christ ist für mich, wer sich freiwillig so bezeichnet, wer in Jesus Nachfolge lebt, sich auf Jesus beruft. Nicht wer irgendwelche bestimmten Glaubenswahrheiten teilt. Dennoch glaube ich, dass diese „Glaubenswahrheiten“ in gelb nicht verloren gehen, sondern immer tiefer, dh. existentieller in ihrem eigentlichen Sinn verstanden werden. (Auch die sog. Verdammnis, Hölle etc.) 4. Du hast Recht, dass die Auferstehung anders gedacht werden muss. Wobei die Frage, wie die Auferstehung zu denken ist, bereits bei orange völlig unterschiedlich beantwortet wird, auch aufgrund des griechischen Wortes, das einmal mit „auferstehen (aktiv)“ und einmal mit „auferweckt werden“ (passiv) daherkommt. Schon die Trinitätslehre macht es ja schwierig, hier von einem „Eingreifen eines höheren Wesens“ zu sprechen, denn Jesus und Gott sind ja eins. Im Glaubensbekenntnis bekenne ich daher zum Glück auch nur, dass ich an die Auferstehung der Toten glaube und nicht wie genau diese vonstatten ging/gehen wird. Wer weiß das schon so genau? Liebe Grüße

  4. Liebe Sandra,
    ich kann einige Deiner hier beschriebenen Gedanken gut nachvollziehen. Dein Beispiel von den Kindern und den verschiedenen Entwicklungsphasen finde ich toll.
    Aber ich sehe beim besten Willen kein stichhaltiges Argument dafür, wie integrale Ansatz bzw. die hier geäußerten Aspekte mit dem christlichen Glauben vereinbar sein sollen. Zumindest mit den Kernbestandteilen, wie sie beispielsweise im apostolischen Glaubensbekenntnis auch heute noch von der Mehrzahl der Christenheit geteilt werden.
    Ich nenne dieses Glaubensbekenntnis nicht aufgrund persönlicher Vorlieben, sondern damit wir uns nicht auf das Glatteis der aus meiner Sicht Diskussion begeben, welcher Glaube nun der richtige sei. Ich kenne auch kein anderes christliches Bekenntnis, das von der Mehrheit der Christen geteilt wird und über einen so langen Zeitraum unverändert Bestand hat!
    Also: ich sehe keine Übereinstimmungen mit dem, was von Christen auf aller Welt mehrheitlich und traditionell als Kernbestandteil christlichen Glaubens bekannt wird.

    Erlaube mir bitte noch ein paar Bemerkungen in Erwiderung zu Deiner letzen Nachricht.

    1. Die Ablehung vom Gesetz:

    Du schreibst „Gefährlich ist natürlich Missbrauch, aber gefährlich ist auch schon allein die Überzeugung, DIE EINE Wahrheit zu haben und zu wissen.“
    Hmm…Beinhaltet Glauben denn nicht zwingend das Vertrauen auf eine bestimmte Wahrheit? Wenn ich keinerlei Wahrheit mehr für mich geltend mache, wird der Glaube dann nicht ein relativistisches und beliebiges An-alles-Mögliche glauben?
    Mal Hand aufs Herz – jeder glaubt doch an irgendeine Wahrheit. Manche glauben, dass der Kommunismus der wahre und richtige Weg sei, andere denken dies über die Pro-Life-Bewegung, Gender-Mainstreaming, die freie Marktwirtschaft usw.
    Besteht die Gefahr also darin, an die eine Wahrheit zu glauben – oder liegt sie nicht eher darin, wenn diese eine Wahrheit mit Gewalt und gegen Grundrechte durchgesetzt werden soll?

    Weiter schreibst Du: „Das Gesetz tritt nicht mehr von außen an „mich“ heran, sondern „ich“ erfülle es aus Einsicht und Erkenntnis heraus.“
    Bleiben wir doch mal bei der Bergpredigt und den zehn Geboten.
    Wie soll denn der Mensch aus sich selbst und Einsicht und Erkenntnis heraus das Gesetz erfüllen? Braucht er keine ethischen Maßstäbe mehr, weil er so gut ist? Der Bibel und auch der christlichen Lehre der letzten 2000 Jahre ist dieser Gedanke eher fremd, nach meinem Kenntnisstand. Was bleibt denn ohne konkrete Maßstäbe überhaupt noch, außer Worte oder Worthülsen, die wir zwar gemeinsam benutzen aber sehr unterschiedlich füllen?

    Dass wir Gottes Gesetz nie voll erfüllen können, ist doch hier gar nicht die Frage. Aber daraus zu schließen, dass das Gesetz nicht mehr benötigt wird, nicht einmal dessen orientierende und normierende Eigenschaft, scheint mir dann doch etwas problematisch. Und in dem Zusammenhang: die Aussage, Jesus Christus habe „die gesetzliche Stufe der Religion überwunden“, steht für mich im Gegensatz zur Aussage in der für die Christenheit nicht ganz unwichtigen Bergpredigt:
    „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.
    Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.“ (Mt 5,17-19)

    Für mich ist eine Verinnerlichung des Gesetzes ohne vorherige (blaue) Vermittlung, sei es durch die heilige Schrift, sei es durch Vorbilder, sinnlogisch nicht möglich. Und daher ein gelebter christlicher Glaube ohne Festhalten am Gesetz als Maßstab (nicht als Heilsquelle!) nicht möglich.

    2. Kern des christlichen Glaubens:
    Ich schlage wie oben geschrieben und in Ermangelung anderer auch nur annähernd weit verbreiteter Bekenntnisse das apostolische Glaubensbekenntnis als kleinsten gemeinsamen Nenner vor. Wenn Du eine bessere Idee hast, bin ich ganz Ohr…!

    Ein Urteil darüber, wer Christ ist, maße ich mir auch nicht an – dass sollten wir meiner Meinung nach unserem Herrn (und Richter) Jesus Christus überlassen. Die Tatsache, dass der Herr Jesus Christus uns sowohl in der heiligen Schrift als auch in diversen Glaubensbekenntnissen immer wieder auch als Richter entgegentritt, berechtigt aus meiner Sicht zumindest zu leisen Zweifeln an der These, dass es eine echte und konkrete Verdammnis nicht gebe.
    Die Bibel äußert sich an vielen Stellen konkret über eine ewige Trennung von Gott. Aus meiner Sicht kann man mit der Verdammnisfrage nur dann so leichtfertig umgehen, wenn man glaubt, dass davon nichts abhängt. Aber es scheint eben nicht ins Weltbild des integralen Ansatzes zu passen, das ist es doch? (ich möchte Dir nicht unrecht tun!!)

    4. Ich finde es ermutigend und freue mich auch persönlich, dass Du an die Auferstehung der Toten glaubst. Auch ich maße mir nicht an, hier genaueres wissen zu wollen. Und was die Frage der Auferweckung/Auferstehung betrifft, die wir ja auch in vielen deutschen Bibelübersetzungen antreffen: hier könnte viel geschrieben werden, aber das würde jetzt zu weit führen.

    Last but not least möchte ich Dir für deine Zeit und die ehrlichen und ausführlichen Ausführungen zum „integralen Christsein“ danken. Ich denke, jede und jeder darf glauben, was sie/er möchte.
    Nur sollte man meiner Meinung nach auch ehrlich klar machen, was das mit hoher Wahrscheinlichkeit heißt – dass man sich von der Grundlage der christlichen Lehre der letzten 2000 Jahre (=Glaubensbekenntnis) und von der Bibel als – zumindest teilweise – Autorität entfernt. Jedenfalls legt dies die bisheriger Austausch anhand einiger Aspekte nahe.
    Der heiligen Schrift wird wahrscheinlich zugestanden, in Verbindung mit Gottes Geist in unser Leben sprechen zu können, aber ob und mit welchem Inhalt dies geschieht, bleibt doch etwas blass. Das klingt jetzt krasser als es gemeint war, eigentlich wollte ich nur möglichst nüchtern und wertfrei meine Sicht auf den integralen Ansatz schildern. Wenn mir dies nicht gelungen ist, bitte ich um Entschuldigung. Ich bin auch nur ein reuiger Sünder, kein besserer Gläubiger.
    Dies gesagt habend möchte ich mich hiermit aus der Diskussion verabschieden. ich denke, wir haben die wesentlichen Argumente ausgetauscht, und sollten diese nun etwas sacken lassen.
    Integraler ansatz oder nicht – die Errettung bleibt nach christlichem zeugnis im Wesentlichen Gottes Werk. Siehe auch die Geschichte von Nikodemus 🙂
    Gnade sei mit Dir und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Kommentar verfassen