Bibel lesen – aber sinnvoll

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Gestern fiel das erste Mal seit langem in der Predigt eines Kollegen ein Satz, der sich mir auf Anhieb eingeprägt hat. Die Bibel sei die „beste Schule für Pluralität.“ Das ist wahr! Wie wahr! Es zeigt sich nicht nur daran, dass der Jesus des Johannesevangeliums ein anderer ist als der des Markusevangeliums. Es zeigt sich besonders herausfordernd dann, wenn Menschen, die heute leben, versuchen, sich über die biblischen Texte auszutauschen und gemeinsame Wahrheiten oder Grundsätze daraus abzuleiten. Das ist dann wirklich ein Ringen und Stöhnen angesichts der Vielfalt, die hier zutage tritt. Vielfalt der Meinungen und Vielfalt der Menschentypen, die diese vertreten. Deshalb ist für mich auch die Frage viel spannender, warum ein bestimmter Mensch diese oder jene Ansicht hat als die Ansicht selbst.

Wunderbar hat das Jeff Meyerhoff ausgedrückt

Die von mir erteilte Antwort ist, dass unsere Überzeugungen aus unseren einzigartigen Lebenserfahrungen entstanden sind und gewisse Überzeugungen befriedigen unsere psychischen Bedürfnisse, indem sie uns veranlassen, an gewissen Perspektiven und Weltanschauungen festzuhalten. Wir können die innigen Verbindungen zwischen unseren philosophischen, moralischen, ästhetischen und politischen Überzeugungen und unserer Lebensgeschichte aufdecken. Wir entdecken, dass wir mit anderen nicht nur wegen unserer unterschiedlichen Überzeugungen nicht übereinstimmen, sondern weil wir andere psychische Bedürfnisse haben.

Nachzulesen auf: http://www.integralworld.net/de/meyerhoff5_de.htm

Darüber zu reden lohnte sich! Warum verstehst du etwas so und nicht anders? Doch wie viel Selbstreflexion wird da von uns Menschen verlangt! Zu wissen, nicht nur was, sondern warum wir etwas wichtig oder unwichtig finden, so oder anders verstehen wollen. Welche Entdeckungen könnten wir da alleine oder gemeinsam machen. Welche Abgründe aufdecken, zu welchen Tiefen vorstoßen!

Nicht nur hat sich in der Bibel die Mannigfaltigkeit des Lebens und der Menschen niedergeschlagen. Sondern diese Fülle an Deutungen und Geschichten zeugt von der Buntheit des Lebens an sich, den vielen parallel verlaufenden Lebenswegen. Vielen ist das – so erlebe ich es – zu bunt. Und dann wird eine Grenze gezogen, irgendwo, sich abgegrenzt, zugemacht, ausgeblendet, was nicht mehr passen will. Wir könnten es „negative Komplexitätsreduktion“ nennen.

Dabei liegt hier tatsächlich DIE Chance. Im Umgang mit diesem Buch erlangen wir wirklich eine der wichtigsten Kompetenzen für das Leben selbst: Mehrdimensionales und komplexes Denken.

Dazu will ich Bonhoeffer zitieren.

Ich hoffe, dass ihr trotz der Alarme die Ruhe und Schönheit dieser … Tage voll auskostet. Man lernt ja allmählich von den Bedrohungen des Lebens innerlich Abstand zu nehmen, d.h. ‚Abstand zu gewinnen‘ klingt eigentlich zu negativ, zu formal, zu künstlich, zu stoisch, richtiger ist es wohl, zu sagen: man nimmt dies täglichen Bedrohungen in das Ganze des Lebens mit hinein. Ich beobachte hier immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können; wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst; wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei; alles Objektive und Subjektive löst sich für sie in Bruchstücke auf. Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zu gleicher Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die Welt in uns. Wir weinen mit den Weinenden und freuen uns zugleich mit den Fröhlichen; wir bangen um unser Leben, aber wir müssen doch zugleich Gedanken denken, die uns viel wichtiger sind als unser Leben. … Das Leben wird nicht in eine einzige Dimension zurückgedrängt, sondern es bleibt mehrdimensional-polyphon. Welche Befreiung ist es, denken zu können und im Gedanken die Mehrdemensionalität aufrechtzuerhalten. … Man muss die Menschen aus dem einlinigen Denken herausreißen – gewissermaßen als ‚Vorbereitung‘ bzw. ‚Ermöglichung ‚ des Glaubens, obwohl es in Wahrheit erst der Glaube ist, der das Leben in der Mehrdimensionalität ermöglicht.

Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (25.4.1944)

Wenn wir bereit wären, im Gespräch über biblische Texte oder daraus abgeleitete Glaubensvorstellungen darüber zu sprechen, WARUM gerade UNS dieses oder jenes wichtig oder unwichtig ist, aus welchen Erfahrungen heraus wir dieses oder jenes glauben oder meinen, könnten wir die Erfahrung machen, dass wir gemeinsam daran wachsen. Meine Erfahrung ist hier leider, dass viele gerne theoretisch über alles Mögliche diskutieren, sich aber sofort ausklinken, sobald eine persönliche Frage damit verknüpft wird. Solange wir nicht bereit sind, mit dem Zeugnis unseres Lebens für Inhalte einzustehen, sind diese Inhalte wie Möbel oder Accessoires, hinter denen wir uns verstecken.

Und was mir noch wichtiger erscheint, wir vergeben uns damit die Chance, produktiv und schöpferisch mit Komplexität umzugehen. Denn es ist eben nicht so, dass der eine Recht hat und der andere nicht. Sondern: Jeder hat Recht auf seine Weise. Und schon diese Sätze sind vermutlich vielen zu kompliziert, zu anstrengend. Ich meine hiermit nicht naiv, dass ich den Attentäter, der gerade mit dem Messer, Bus oder was auch immer auf mich losgeht, erst fragen möchte, warum er das tut. Sondern das alltägliche Phänomen im Gespräch mit Menschen, die genug Zeit hätten, tiefsinnige und persönliche Gespräche zu führen, es aber gezielt vermeiden. Vermutlich macht Komplexität viel Angst. Ist die Angst doch das Zeichen, dass wir uns auf unbekanntes Terrain begeben und neue Dinge tun oder hören, die unser Leben verändern könnten.

Die Bibel ist hier ein Wunder. Die Bibel zwingt viele regelrecht, sich auf ihre Komplexität einzulassen. Einmal richtig zuzuhören. Und noch einmal. Und noch einmal. Den Text oder uns in Frage stellen. Meine Erfahrung ist, dass dieses Buch vor allem und zunächst das Leben von Menschen verändert, wie es kein anderes tut. Gerade, WEIL es so vielstimmig und mehrdeutig ist, weil es so viele Autoren hat und diese so viele verschiedene Erfahrungen mit Gott machen durften. Also lasst uns diese Vielfalt feiern! Lasst uns darüber freuen! Und dann sprechen: Über uns. Über unser Leben. Und unsere Erfahrungen mit Gott. Und jeden Satz beginnen mit: Ich verstehe das so, weil…

5 comments

  1. Neben dem Querschnitt von Reaktionen auf die biblischen Texte, den man bekommt, wenn man sie mit verschiedenen Menschen zur gleichen Zeit liest und darüber spricht, gibt es auch einen Längsschnitt für das eigene Leben. Bestimmte Bibelstellen sprechen mich in unterschiedlichen Lebensphase unterschiedlich an. Vieles mag mir im Moment wenig oder nichts sagen. Aber irgendwann kann ich in einer Situation sein, wo ich genau diese Stelle brauche. Für mich ist es gut zu wissen, dass ich in diesen antiken Texten die Lebens- und Glaubenserfahrung von Menschen über mehrere tausend Jahre wiederfinde.

  2. Dass das frühe Christentum die Zensur vor Kaiser Konstantin eingeführt hatte und es besonders für politische Zwecke missbraucht und gezielt dann ausgenutzt wurde, ist eine Tatsache, die auch in allen anderen Religionen Wiederhall fand.
    Die Konzile von Nicäa(J.325) , Konstantinopol(421) und Chalcedon(451) sind Zeugen dafür, was die christliche Religion ab jetzt als Institution zu bedeuten hatte- und damit Indoktrinierung, die bewusste und direkte Manipulation menschlichen Geistes zu Folge hatte. Dass der seelische Prozess der Wiedergeburt als Begriff des jungen Christentums ab da über Nacht verschwand, war insofern das Erstsignal weiterer Zensurfakten.

    Geistige Freiheit bedeutet schließlich GEISTIGE UNABHÄNGIGKEIT.
    Das ist es, was alle Religionen und die Politik wissen und sich von Anbeginn ihrer Existenz sich zunutze gemacht haben- und was hingegen die breite menschliche Masse vergessen hat. Denn wenn Religion zur Politik wird und Politik zur Religion, ist es an der zeit, dass der Mensch eine eigene Revolution im Denken startet.

    Im Christentum waren die Gnostiker und Agnostiker die Erstspaltung des Christentums, woraus später Riten und Sekten sich bildeten- bis hin in unserer Zeit hinein. Unter den frühen Kaisern und Päpsten kamen Dekrete verschiedener Synode und Konzile des frisch erbauter Institution des Klerus über Nacht zu Tage , die Zensur einführten und Kanonen als strikte Doktrine und Thesen als Dogmen zur Maschinerie der Vernebelung menschlicher Bewusstseins bauten.
    Das sogennante Decretum Gelasianum aus dem 6-ten Jh. ist ein klassisches Beispiel dafür: vielegeschriebene Bücher früheren Seher, Mystiker der Vorzeit wurden verbannt und verboten. Ferner folgten Evangelien , die ab nun als apokryphen Bücher samt Verfasser gar verdammt worden waren.
    “ -Itinerarium nomine Petri apostoli, quod appellatur sancti Clementis libri numero novem (Pseudo-Klementinen)
    – Actus nomine Andreae apostoli (Andreasakten)
    -Actus nomine Thomae apostoli (Thomasakten)
    – Actus nomine Petri apostoli (Petrusakten)
    – Actus nomine Philippi apostoli (Philippusakten)
    -Evangelium nomine Mathiae (Evangelium nach Matthias)
    -Evangelium nomine Barnabae (Evangelium nach Barnabas)
    – Evangelium nomine Iacobi minoris (Evangelium des Jakobus des Jüngeren)
    – Evangelium nomine Petri apostoli (Evangelium des Petrus)
    – Evangelium nomine Thomae quibus Manichei utuntur (Evangelium des Thomas, „wie es von den Manichäern verwendet wird“)
    -Evangelia nomine Bartholomaei (Bartholomäusevangelium)
    – Evangelia nomine Andreae (Evangelium des Andreas)
    – Evangelia quae falsavit Hesychius (Evangelium, gefälscht von Hesychius; evtl. Hesychios von Jerusalem)
    – Liber de infantia salvatoris (Evangelium von der Kindheit des Erlösers)
    – Liber de nativitate salvatoris et de Maria vel obstetrice (Geburt des Erlösers und über Maria, auch „Die Hebamme“)
    – Liber qui appellatur Pastoris (Hirte des Hermas)
    -Libri omnes quos fecit Leucius discipulus diabuli (alle Bücher von Leucius, dem Schüler des Teufels)
    -Liber qui appellatur Fundamentum („Das Fundament“)
    -Liber qui appellatur Thesaurus („Der Schatz“)
    -Liber de filiabus Adae Leptogeneseos („Buch über die Töchter Adams“/„Kleine Genesis“; vermutlich das Buch der Jubiläen)
    -Cento de Christo Virgilianis conpaginatus versibus (Cento über Christus, aus Versen Vergils zusammengefügt)
    -Liber qui appellatur Actus Theclae et Pauli (Paulusakten bzw. Akten des Paulus und der Thekla)
    -Liber qui appellatur Nepotis (Buch, das dem Nepos zugeschrieben wird)
    -Liber Proverbiorum ab hereticis conscriptus et sancti Sixti nomine praesignatus (Sextussentenzen, siehe NHC XII,1)
    -Revelatio quae appellatur Pauli (Visio Sancti Pauli)
    -Revelatio quae appellatur Thomae (Offenbarung des Thomas)
    -Revelatio quae appellatur Stephani (Offenbarung des Stephanus)
    – Liber qui appellatur Transitus sanctae Mariae (Heimgang der heiligen Maria)
    -Liber qui appellatur Paenitentia Adae (Buße Adams)
    -Liber de Ogia nomine gigante qui post diluvium cum dracone ab hereticis pugnasse perhibetur („Buch über den Riesen Ogias, von dem die Häretiker behaupten, er habe nach der Sintflut mit dem Drachen gekämpft“; wird mit dem Gigantenbuch identifiziert)
    -Liber qui appellatur Testamentum Iob (Testament Hiobs)
    -Liber qui appellatur Paenitentia Origenis (Buße des Origenes)
    – Liber qui appellatur Paenitentia sancti Cypriani (Buße des heiligen Cyprian)
    -Liber qui appellatur Paenitentia Iamne et Mambre (Buße Jannes und Jambres)
    -Liber qui appellatur Sortes apostolorum (Lose der Apostel)
    -Liber qui appellatur Lusa apostolorum (Spiele der Apostel)
    – Liber qui appellatur Canones apostolorum (Canones der Apostel)
    – Liber Physiologus ab hereticis conscriptus et beati Ambrosii nomine praesignatus („Physiologus, von Häretikern zusammengeschrieben und dem seligen Ambrosius zugeschrieben“)
    -Historia Eusebii Pamphili (Geschichtswerke des Eusebius von Caesarea, mit Ausnahme von Chronikon und Kirchengeschichte, siehe Teil IV)
    – opuscula Tertulliani (Werke des Tertullian)
    – opuscula Lactantii sive Firmiani (Werke des Lactantius)
    -opuscula Postumiani et Galli (Werke des Postumian und des Gallus)
    -opuscula Montani, Priscillae et Maximillae (Werke des Montanus (Prophet), der Priska und der Maximilla, also die Bücher der Montanisten)
    -opuscula Fausti Manichei (Werke des Manichäers Faustus von Mileve)
    -opuscula Commodiani (Werke des Commodian)
    -opuscula alterius Clementis Alexandrini (Werke des Clemens von Alexandrien)
    -opuscula Thascii Cypriani (Werke des Thascius Cyprian)
    -opuscula Arnobii (Werke von Arnobius dem Jüngeren)
    -opuscula Tichonii (Werke des Tyconius)
    -opuscula Cassiani presbyteri Galliarum (Werke des Johannes Cassianus)
    -opuscula Victorini Petabionensis (Werke des Victorinus von Poetovio)
    -puscula Fausti Regiensis Galliarum (Werke des Faustus von Reji)
    -opuscula Frumentii Caeci (Werke des Frumentius Caecus)
    -Centonem de Christo virgilianis conpaginatum versibus (offenbar ein Duplikat; siehe oben)
    -Epistula Iesu ad Abgarum (Brief Jesu an Abgar; siehe Abgarlegende)
    -Epistula Abgari ad Iesum (Brief von Abgar an Jesus; siehe Abgarlegende)
    -Passio Cyrici et Iulittae (Märtyrerakten des Cyricus und der Julitta)
    -Passio Georgii (Märtyrerakten des Georg)
    -Scriptura quae appellatur Salomonis Interdictio (Schrift, welche Verbot (Beschwörung?) Salomos heißt)
    -Phylacterua omnia quae non angelorum, ut illi configunt, sed daemonum magis nominibus conscripta sunt (alle Amulette, welche nicht, wie jene erdichten, im Namen der Engel, sondern vielmehr der Dämonen zusammengeschrieben sind).

    Darüber hinaus wird der Bannfluch noch geschleudert auf:

    Dieses und das, was ihm ähnlich ist, was Simon Magus, Nikolaus, Kerinth, Markion, Basilides, Ebion, Paul von Samosata, Photin und Bonosus, die an ähnlichem Irrtum krankten, auch Montanus mit seinen ekelhaften Anhängern, Apollinaris, Valentinus der Manichäer, Faustus der Afrikaner, Sabellius, Arius, Macedonius, Eunomius, Novatus, Sabbatius, Calistus, Donatus, Eustatius, Iovianus, Pelagius, Iulianus von Eclanum, Caelestius, Maximian, Priscillian aus Spanien, Nestorius von Konstantinopel, Maximus der Kyniker, Lampetius, Dioscur, Eutyches, Petrus und der andere Petrus, von denen der eine Alexandrien, der andere Antiochien befleckte, Acacius von Konstantinopel mit ihren Genossen, und was auch alle Schüler der Häresie und der Häresien oder Schismatiker gelehrt haben oder zusammengeschrieben haben, deren Namen wir kaum behalten haben, das bekennen wir, daß es nicht nur verworfen sei, sondern von der ganzen römischen katholischen und apostolischen Kirche ausgeschlossen sei und mit seinen Verfassern und den Anhängern der Verfasser unter der unlöslichen Fessel des Anathema in Ewigkeit verdammt sei.[3] „.

    Literatur

    Ernst von Dobschütz: Das Decretum Gelasianum; de libris recipiendis et non recipiendis., Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Bd. 38. J. C. Hinrichs, Leipzig 1912. Kritische Ausgabe des Textes mit Kommentar.
    Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen. Bd. 1: Evangelien. 6. Aufl. Mohr, Tübingen 1999, ISBN 3-16-147252-7, S. 30–33.

  3. Dass die Bibel nur ein missinterpetiertes Überbleibsel 2000 Jahre alter strikt hierarchischer weltlicher Institution voller obskuren Interessen ist, weiß die breite Öffentlichkeit eigentlich seit Jahrzehnten.
    Dass jedoch die Bibel trotzdem den Kern des Christentums und aller Religionen in sich noch trägt, ist die Tatsache, welche sie weiterhin strahlen läßt und, auch in diesem jahrtausendalter Zustand der Zensuren und Missinterpretationen, sie als wertvoll bewährt.

  4. Danke für das schöne Zitat von Bonhoeffer!
    Ich möchte kurz auch auf einen vorhergehenden Kommentar eingehen: Alle Apokryphen, die ich kenne, haben bei weitem nicht die spirituelle Qualität und Reinheit wie die vier Evangelien, die es schließlich in den Kanon schafften. Da erscheint mir die Auswahl völlig berechtigt. Diese vier Evangelien sind Einweihungsbücher – wenn man sie zu lesen versteht. Aber vieles, das da noch geschrieben wurde, sind persönlich schwül-warm emotionale Textergüsse. Zumindest meiner Erfahrung nach.
    Ich war einmal hier in der nähe in einem Evangelienkreis. Dort nur einmal. Ich muss ergänzen, das war in der Zeit, als ich an einem anthroposophischen Priesterseminar studiert habe. Und ich wollte sehen, wie die Leute dort die Sache angehen, außerdem liebe ich sowieso diese Evangelienkreise. Und ich habe das vorgefunden, was ich auch in meiner katholischen Kindheit und Jugend erlebt habe: Die Menschen ringen in der Tat, und sie haben keine Art von nennenswerten Zugang mehr. Alle saßen da mit viel gutem Willen aber ausgesprochen hilflos zusammen. Im Grunde wissen sie nicht, wie mit einem Text umgehen, den sie größtenteils nicht verstehen. Was ja auch absolut verständlich ist.
    Und natürlich habe ich kein Wort dazu gesagt. Hier mit anthroposphischen Erkenntnissen zu kommen, wäre sicherlich für die Menschen dort zu fremd gewesen. Aber ich wusste für mich wieder, warum ich das mache… Es muss ja nicht die Anthroposophie sein. Es gibt ein paar ähnlich tiefgehende Wege ins Evangelium.
    Ach, was ich sagen wollte: Der Text oben ist toll. Ich empfinde ihn als recht psychologisch ausgerichtet. Natürlich trainiert das Lesen und Sprechen darüber mit anderen die Mannigfaltigkeit. Sowieso ist die Wirkung der Bibel eine sehr gruppenbildende. Und all das Soziale stimmt. Es erinnert mich nur ein wenig an die Leute damals in der Gruppe. Psychologische und soziale Aspekte sind super – nur reden wir auf dieser Webside nicht von der spirituellen Seite des Evangeliums. Sprich das, worum es eigentlich geht?
    Natürlich ist es sehr interessant, warum jemand wie die Stellen versteht. Aber daneben geht es darum, was darin ausgesagt wird! Nicht, was einer versteht, sondern was der Evangelist gemeint hat. Der obige Text erweckt in mir den Eindruck, dass die Autorin aufgegeben hat, dass man zu diesem Wissen durchdringen kann.
    Wenn man ein Werkzeug dazu hat.
    Im Einweihungsweg der Rosenkreuzer – dem ich nicht folge – gibt es wohl eine Stufe, die heißt, das Erlernen der okkulten Schrift. Da geht es darum, den wirklichen Gehalt von Symbolen zu verstehen. Das, wofür dieses Symbol erschaffen ist, es zu symbolisieren. Symbolisieren in einem sehr kräftigen Sinne.
    Wenn man nicht zu der eigentlichen Bedeutung eines Bildes oder Symboles kommt, kann man sehr viel darum herum reden, und jeder empfindet das anders und interpretiert es anders. Wunderbar für allerlei Konkurrenz.
    Wenn jemand die Bedeutung des Symbols kennt, kann es immer noch darum gehen, wie das alles auf mich wirkt, was es mit mir macht, was es tatsächlich für mich bedeutet. Und da liegt auch die Gefahr, dass die Leute zu sehr im Kopf bleiben. Aber…dafür hat man ja Evangelienkreise.
    Ich weiß nicht, wie viele Wege es gibt, sie dem tatsächlichen Gehalt der biblischen Symbole zu nähern, dazu gehört dann auch zu erfahren, wann dort damalige Mysteriensprache verwendet wurde, zum Beispiel was genau war gemeint, wenn jemand als wahrer Israelit bezeichnet wurde. Als wahrer Vertreter seines Volkes. usw. Sicherlich kommt man da in Anthroposophie, Rosenkreuzertum, Hermetik, bei Meistern wie Daskalos, Beinsa Douno und anderen weiter.
    Was ich kurz gesagt mitteilen will: Ich wünsche Ihnen, dass Sie zu tieferen Bedeutungen durchdringen. Geben Sie sich nicht nur mit sozialer und psychologischer Bedeutung zufrieden.
    Alles Liebe und Gute!

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