Religion als Förderband: Mittel zur Bewusstseinsentwicklung der Menschheit

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Vor kurzem hatte ich eine interessante „Diskussion“ auf Facebook (von einer echten Kommunikation ist das ja immer weit entfernt). Jemand meiner „Freunde“ hat gepostet, Religionen gehörten nicht ins 21. Jahrhundert, denn sie würden Menschen „untereinander trennen“ und seien „hauptverantwortlich für all das Elend auf der Welt“. Bezeichnenderweise antworteten außer mir auf diesen Post nur Gleichgesinnte, die sofort mit in das selbe Horn bliesen.

Eine differenzierte Sichtweise – Fehlanzeige.

Auf meinen Einwand, dass Religionen eine maßgebliche Rolle dabei spielen, das menschliche Bewusstsein zu formen – Widerrede, jedoch leider ohne Gegenargument.

Weil mir eine solche Sichtweise nicht zum ersten Mal begegnet, möchte ich erläuterten, warum ich anderer Ansicht bin und das mit einigen Buchtipps verbinden.

Nach der integralen Theorie – die, wie bereits beschrieben, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie beruht – gibt es „DIE Religion“ nicht. Menschen haben ihren Schwerpunkt auf verschiedenen Bewusstseinsebenen und interpretieren und leben religiöse Inhalte und Praktiken von diesen aus.

Nicht „DAS Christentum“ formt also den Menschen, sondern der Mensch formt zunächst das Christentum. Und das selbstverständlich vom ersten Tag an, als die ersten Jünger sich Jesus anschlossen und ihn jeweils auf ihre eigene Art und Weise und von dem Level aus, auf dem sie standen, her verstanden. Das schlägt sich in den Evangelien und Briefen nieder. Auf deren schriftliche Hinterlassenschaften sind wir heute angewiesen, wenn wir uns überhaupt in irgendeiner Form auf Jesus beziehen wollen. Diese beständige Wechselwirkung wird von Menschen, die „DAS Christentum“ oder „DIE Religion“ kritisieren, völlig außer Acht gelassen: Christentum ist das, was DU daraus machst. Der Rezipient ist mit dem Inhalt untrennbar verbunden. Und was „DIE Kirche, die Gemeinschaft“ (die es also solche nicht gibt) aus dem Christentum machen, ist das Resultat vieler einzelner Bewusstseine, die zusammen eine Art Gruppenbewusstsein formen.

Jeder, der schon einmal mindestens in zwei verschiedenen Kirchengemeinden unterwegs war, wird wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass dieses Gruppenbewusstsein sich immens unterscheiden kann und das innerhalb ein und derselben Konfession.

Nach Ken Wilber, „Integrale Spiritualität“, hat die Religion die Eigenschaft, dass sie als Förderband dienen kann, d.h. sie kann die Entwicklung der Menschheit vorantreiben. Sie kann Menschen helfen, sich von einer magischen Stufe zu einer rationalen, pluralistischen etc. Ebene zu bewegen. Das ist zumindest das, was sie tun sollte. Aber kann sie das auch?

In der Vergangenheit ist es Tatsache. Menschen, die auf „DIE Religion“ schimpfen, vergessen, dass in unserer Welt zumindest geschichtlich es tatsächlich Religionen waren, die das Bewusstsein der Menschen mit geformt haben. An dieser Tatsache kann kein ernsthafter Mensch zweifeln. Denn um zu beweisen, dass all diese Entwicklungen und Ideen auch ohne Religionen möglich gewesen sein könnten, müsste man eine zweite, andere Welt erschaffen, die ohne Religionen auskommt.

Um diese Tatsache zu belegen, empfehle ich folgende Bücher, die sich mit dem Beitrag des Christentums und/der Bibel zu der Entwicklung der menschlichen Kultur, Zusammenlebens und Denkens beschäftigt haben. Mir erscheint es zunehmend befremdlich, wie viele Menschen von diesem Beitrag nichts mehr wissen wollen, d.h. nichts davon wissen und dieses Nichtwissen auch noch mit Stolz zur Schau tragen.

Das Buch der Mitte: Wie wir wurden, was wir sind: Die Bibel als Herzstück der westlichen Kultur, Vishal Mangalwadi, 2011

Sehr spannend erzählt, erhellend und begeisternd. Geschrieben aus der Sicht eines Christen, der in einer Gesellschaft lebt, die hauptsächlich durch den Hinduismus geprägt ist: Indien. Sehr bereichernd ist der daraus resultierende Vergleich zwischen der östlichen und westlichen Kultur und die Frage, wie diese Unterschiede sich durch die Botschaften der jeweiligen Religion erklären lassen. Er beschreibt die Bibel als ein kulturprägendes Buch, das eine Rolle spielte bei der Entstehung des modernen Westens, wie wir ihn kennen: Menschenrechte, technologischer Fortschritt, Demokratie, Musik. Das einzige, was ich schwierig finde, ist, dass er meinem Eindruck nach wenig zwischen den christlichen Konfessionen unterscheidet, das aber bei manchen Themen, zB. Korruption, durchaus eine Rolle spielt (siehe Ukraine, Russland, Griechenland etc.)

Die Verzauberung der Welt, Jörg Lauster, 2017 (5. Auflage)

Ein dickes, informatives Buch und gleichzeitig unterhaltsam. Der Autor ist Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Philipps-Universität Marburg. Wie der Titel bereits andeutet, geht es auch hier um die Beschreibung eines Prozesses, wie das Christentum bzw. die Bibel zur Veränderung der Welt beitrug. Die Kultur, Architektur, Musik, Kunst steht dabei im Mittelpunkt.

Wie das Christentum die Welt veränderte: Menschen – Gesellschaft – Politik – Kunst, Alvin J. Schmidt, 2009

Auch dieser Autor, ein Amerikaner, beschreibt, wie die abendländischen Werte maßgeblich durch dein Einfluss des Christentums geformt und mitbestimmt wurden.

Der Weltbeweger. Jesus – wer ist dieser Mensch?, John Ortberg, 2013

Aus der Sicht eines christlichen Bestsellerautors, v.a. mit der Intention Jesus zu verherrlichen. Im Vordergrund steht die Frage, auf welche Weise der Mensch Jesus auf unsere Gesellschaft, unser Menschenbild, unsere Ethik, unsere Kultur Einfluss genommen hat. Liest sich schnell und ist sehr erhellend.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

6 comments

  1. Wir sehen heutzutage deutlicher denn je, dass die gesamte kulturelle Entwicklung der Menschheit zerstörerisch ist; vor allem aus ökologischen Gründen: Wir zerstören unsere Lebensgrundlagen und den Lebensraum anderer Lebewesen. Trotz allem Positiven, das man über Religionen sagen kann, muss man auch einräumen, dass sie mitverantwortlich für diese Entwicklung sind.

    Es sind dann allerdings auch gerade die Religionen, die das Potential hätten, hier eine Lösung herbeizuführen. Durch eine gesunde Spiritualität könnten einzelne Menschen und ganze religiöse Gemeinschaften befähigt werden, Verantwortung für die Schattenseiten ihrer Lebensweise zu übernehmen. Ich glaube, die ganze aktuelle Krise der Menschheit ist wesentlich eine spirituelle.

  2. Hallo Sandra,
    meiner subjektiven Meinung nach ist es bedauerlich und ein Manko, daß „wir“ nicht die Chance haben, eine persönliche Beziehung zu Gott aufnehmen zu können. Da stehen dann eher die menschlichen Religionen, wie auch die menschlichen Ideologien „im Wege“. Solange das so ist und bleibt, wirst du auf Facebook oder „sonstwo“ eben dieses Echo erhalten.
    Wie du schon festgestellt hast, geht es derzeit in dieser Welt um Trennung und nicht um das Eins sein oder werden.
    Was wir tun können? … „überzeugen“ kann letztendlich nur „einer“.
    Es gibt aber Hoffnung, wenn du und ich mit diesem warmen Leuchten ohne missionarischen „Hintergrund“ den einen oder anderen bedingungslos bei der Hand nehmen…

    Alles Liebe,
    Raffa.

    1. Lieber Raffa, ja, leider stehen Religionen und Ideologien häufig, meist ja in Gestalt von bestimmten Personen und deren Eigenheiten, im Wege. Doch gleichzeitig sind es auch oft Personen, die sich einer Religion zugehörig fühlen oder in dieser zumindest aufgewachsen sind und von ihr geprägt wurden (mitunter auch Jesus), die anderen dabei helfen können, diese persönliche Beziehung aufzubauen. Die Bedeutung von Vorbildern und Gemeinschaft bei unserem spirituellen Wachstum ist m.E. nicht zu unterschätzen. Nirgendwo sonst findest du vermutlich so viel Leute auf engem Raum, die deine „Knöpfe“ drücken, wie zB. in einer Kirchengemeinde ;-), wo fändest du sonst solche sakralen Räume voller Energien, geistliche Führer etc. Es ja gerade um das Pendeln von einem Ich zum Wir in unserer Entwicklung. Also an den Menschen und dem allzu „menschlichen“ vorbei eine Gottesbeziehung pflegen zu wollen, halte ich für einen Irrweg. Wir müssen uns doch an dem Bestehenden reiben. Das tut weh. Ich befürchte, dass wir nur diesen Schmerz meiden wollen. Sei gegrüßt!

      1. Guten Tag Sandra,

        ich stimme dir zu, daß die Bedeutung von Vorbildern und Gemeinschaften für einen spirituellen Weg von großer wie entscheidender Wirkung ist.
        Meiner subjektiven Erfahrung nach führen die geistlichen Führer, gerade die, der institutionellen Kirchen, die Menschen jedoch nur in einem gewissen Maße, hin zu eniner vermeintlich „unsichtbaren Grenze“ in eine Nähe, vielleicht noch in eine Verbindung zu Gott.-

        Dieses, ich nenne es mal dreist und flach, institutionielle Dogma ist dann auch das, was sich bei deinen Bekannten und Freunden (Facebook) wi(e)derspiegelt – zu ihrer „anderweitig“ erlernten, konditionierten Haltung, welche sich ja nicht ganz zu unrecht gegen Religionen und Kirchen richtet.

        Die Frage ist, was ist gewollt? und für mich im Besonderen, wo und wie können wir sie abholen, ohne zu missionieren, wenn sie denn wollen…

        Wenn ich hier noch auf deine „Antwort-Worte“ bezug nehmen darf: Was spricht gegeneine persönliche, subjektive Verbindung, Kontakt und auch Austausch mit Gott – darf und sollte das nicht das Ziel und die Aufgabe einerjeden Kirche sein? …uns dazu zu befähigen und uns dahin zu führen. Ein solches Band mit Gott ist stärker als Dogmen, nahezu und grundsätzlich unkaputtbar.
        Natürlich ist es hilfreich, den Weg in Gemeinden und Gemeinschaft zu beginnen und auch sich auf dem „Weg“ auszutauschen.

        Mal schauen, wie uns der Heilige Geist und Gott führen, auch um Jesus Christus nachzufolgen.

        Es bleibt „spannend“,
        in freudiger Erwartung,
        sei die Hoffnung und der Friede mit uns,

        Raffa.

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