„Integrales Christentum“ von Marion Küstenmacher

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Ihr konntet vor kurzem mein Interview mit der Autorin lesen. Wer es noch nicht getan hat, kann es hier gerne nachholen.

Ich möchte euch an dieser Stelle das Buch in Kürze vorstellen. Da ich aber weiß, dass einige unter euch ebenfalls gerade dabei sind, das Buch.zu lesen, hier nur meine ganz bescheidenen, persönlichen Eindrücke:

Zunächst fällt auf, das das Buch einiges an Volumen hat. Selbst jemand, der ein rasches Lesetempo hat, braucht dazu ein paar Tage.

Und spätestens beim Lesen fällt auf: Es braucht nicht nur viele Tage, es durchzulesen, es braucht noch mehr Tage, den Inhalt zu verdauen, und noch viel, viel, viel mehr Tage, den Inhalt in meinem eigenen Leben zu integrieren.

Das aber ist erklärtes Ziel des Buches: Es will helfen bei der „Einübung in eine spirituelle Intelligenz“. Dabei bleibt die Autorin nüchtern: Spirituell intelligent wird man nicht bereits durch das Lesen ihres Buches. Auch nicht durch die zahlreichen Übungen, die das Buch enthält. Jede Entwicklung braucht ihre Zeit. Richtig spirituell intelligent sind wir erst – das erfahren wir beim Lesen – wenn wir auf der Stufe „Koralle“ angelangt sind. „Das Bewusstsein von KORALLE […] wird kosmozentrisch. KORALLE identifiziert sich mit dem äußeren Universum selbst, aber auch mit dem ganzen Reichtum des inneren Universums.“

Menschen auf dieser Stufe gibt es jedoch noch kaum. „KORALLE, diese erst zart keimende Stufe, kommt uns aus der Zukunft entgegen“, schreibt Marion Küstenmacher.

Also noch ein langer Weg vor uns Menschen 😉

Und doch: Ein Stückchen spirituell intelligenter fühle ich mich bereits nach der ersten Lektüre. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass der integralen Theorie nachgesagt wird, sie sei „psychoaktiv“.

S. Esbjörn-Hargens schreibt in seiner Einführung in die integrale Theorie über das AQAL-Modell: „[Es] ist ein Katalysator, weil es psychoaktiv Ihren ganzen Körper- Verstand scannt und jegliches Potenzial aktiviert oder „aufleuchten lässt“ […], das gegenwärtig nicht voll genutzt wird.“

In „Integrale Lebenspraxis“ (hier mehr dazu) stellen die Autoren fest:

[…] das Integrale Betriebssystem wirkt psychoaktiv. Es verändert sie von innen nach außen und vermittelt Ihnen ganz konkret neue Sichtweisen von Erfahrung. […]

Das Wörtchen „psychoaktiv“ bezieht sich ursprünglich auf Drogen und bedeutet „die Fähigkeit akut das Verhalten, Empfindungen oder die Wahrnehmungen zu verändern und so allgemein auf den Bewusstseinzustand zu wirken.“

(Quelle: http://de.drogen.wikia.com/wiki/Psychoaktiv)

Durch die gelungene Verflechtung von integraler Theorie und geballtem theologischem Wissen gelingt es der Autorin mit ihrem Buch meines Erachtens ebenfalls auf diese Weise „psychoaktiv“ zu wirken (gesetzt den Fall, wir lassen es zu.)

Wir können es auch anders, un-integral und einfach ausdrücken:

Dieses Buch kann unser Denken über das Christentum verändern, und dieses veränderte Denken unser Leben als Christ.

Die Autorin greift alle wichtigen Elemente der integralen Theorie (Holons, AQAL, Schattenarbeit) heraus und wendet sie auf Phänomene des Christentums (Entwicklung des Glaubens über Stufen hinweg, Bibelhermeneutik, Gebet, die drei Gesichter Gottes, Mystik, die Kirche) an.

Das tut sie in einer unglaublichen Breite und Tiefe gedanklicher Durchdringung. Förmlich in jedem Satz stecken spürbar viele Jahre der Auseinandersetzung mit diesen Themen.

Allerdings habe ich mich beim Lesen gefragt, wer aus den Gemeinden, deren Pfarrerin ich zuletzt war, freiwillig und mit Gewinn ein solches Buch lesen würde. (Nicht, dass mir jetzt GAR niemand eingefallen wäre.) Ja, vielleicht habe ich ein zu negatives Bild. Ja, vielleicht gäbe es da noch die eine oder andere Überraschung. Doch ganz ehrlich: Mir kommt es so vor, dass das Publikum eines solchen Buches zumindest speziell – das heißt selten – ist, was nicht zuletzt an der verwendeten Sprache liegt. Man lese nur diesen einen Satz relativ zu Anfang des Buches: „Die Zielrichtung des Christentums ist klar: Sein höchster Eros ist es, immer mehr Christusbewusstsein zu wecken.“

(Ja, ich habe mich gefreut beim Lesen. „Eros“ und „Christusbewusstsein“ sind schöne Wörter und noch herrlicher in ihrer gedanklichen Verbindung. Und doch habe ich mir gleichzeitig die Gesichter vorgestellt, wenn ich diesen Satz beim Abend der Landfrauen vorgelesen hätte, denen beim Wort „Mystik“ nur „Mystery Thriller“ eingefallen ist.)

Dessen ungeachtet wünsche ich mir aufrichtig für dieses Buch, dass es so viele Leser wie möglich erreicht, nicht nur intellektuell, sondern von Herz zu Herz, und Bewusstsein zu Bewusstsein, so wie es gemeint ist. Ich werde jedenfalls noch lange mit ihm unterwegs sein und sehe das nur als Gewinn. An dieser Stelle der Autorin noch einmal schriftlich – wie bereits mündlich – vielen Dank für dieses Werk!

Ein Nachteil des Buches ist m.E. das fehlende Stichwortverzeichnis. Gerade deshalb, weil es sich wie ein Nachschlagewerk für viele Themen liest. Ja, es wäre dann noch dicker geworden. Wäre mir aber egal.

8 comments

  1. Werte Sandra,
    vorab besten Dank für die Vorstellung des hier genannten Buches und die Möglichkeit ein kleines bißchen „querlesen“ zu können.
    Ich kann mir wahrlich kein Bild über das Buch machen und doch befürchte ich zu verstehen, was du selbst zum Ende des Artikels herausgestellt hast:
    „Allerdings habe ich mich beim Lesen gefragt, wer aus den Gemeinden, deren Pfarrerin ich zuletzt war, freiwillig und mit Gewinn ein solches Buch lesen würde.“

    Wenn ich mir ein paar der hier genannten „Fach-Termini“ anschaue, komme ich auch in Richtung „Mystery“ oder gar „misery“ – das Fremdworte-Lexikon würde dann öfter in die Hand genommen als die Bibel.
    Und ich frage mich dann, welche Berufe die Apostel hatten…
    oder ob ich wissenschaftliche Theorien durcharbeiten muß, um mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden.
    Meine ernst gemeinte Frage, kann man Menschen Jesus Christus und/oder die Bibel näher bringen, in dem man ein Handbuch, eine annähernd wissenschaftliche Gebrauchsanleitung an die Hand gibt?
    Es steht doch eigentlich alles diesbezüglich in der Bibel, in alten Worten mit verschrobener Grammatik, welche wir eigentlich nur aktualisieren müssen. Zusagen in die Muttersprache des aktuellen Zeitgeistes, wie es einst Luther und zuvor Jan Hus gemacht haben – vom Lateinischen in die jeweilige Muttersprache!

    Mit meiner manchmal spitzen Zunge könnte ich behaupten, das eben dieses „Rad der Geschichte“ zurückgedreht wird – ein „Geheimkodex der Verwissenschaftlichung“ geschaffen wird, ergo ein Buch für Akademiker. Und verzeihe die mir fortlaufende Spitze Zunge, irgendwie kommen mir die alt- wie neutestamentarischen Schriftgelehrten und Pharisäer in den Sinn.

    Es darf halt einfach und verständlich bleiben, nicht um sonst sind Gleichnisse in der Bibel verwandt worden und keine ausgefeilten Theorien. Dann ist „simples Kaffee trinken“ mit den Landfrauen effektiver und vorallem „zielführender“…

    Liebe Sandra, siehe es mir nach, bitte auch nicht persönlich nehmen,
    der Weg ins Herz geht auch für den Heiligen Geist, Jesus Christus und Gott ganz entspannt ohne Theorien, die in die Praxis transferiert werden müssen.

    Alles Liebe,
    Raffa,
    der sich natürlich über deine Worte freut.

    1. Lieber Raffa, danke für deinen wichtigen Einwurf! Ich würde sagen: ja und nein. Denn Menschen wie ich freuen sich ja über so ein Buch und es hilft ihnen, auf „ihrem Weg“. Ich würde das so sehen: Wir Menschen sind halt sehr verschieden, auch unsere intellektuellen Bedürfnisse, ich liebe Fremdwörter, andere fühlen sich davon abgeschreckt. Wie sagt es Paulus so schön, den Juden ein Jude werden, den Griechen ein Grieche. (1. Kor. 9) Er passt sich den Leuten an, mit denen er spricht – aus Liebe. Und bei diesem Sich-dem-anderen-Anpassen kann die integrale Theorie eine sehr große Hilfe sein, wenn denn richtig von ihr Gebrauch gemacht wird. Aber ich gebe dir insofern Recht, als dass ich glaube, dass wir noch Wege finden müssen, diese neue Theologie, die sich da anbahnt, in einfache, direkt ins Herzen fließende Worte, zu kleiden, damit sie wirklich jedermann/frau zugänglich wird und hilft, zu einer gesunden, befreienden Spiritualität zu verhelfen. Liebe Grüße

  2. Auch mich hat es etwas gestört, dass MK in ihrem Buch voll im Wilber-Jargon bleibt, anstatt sein Denken zu übersetzen. Mir fehlt da etwas die wissenschaftliche Distanz, Wilber sozusagen „von aussen“ anzuschauen. Insofern ist das Buch nichts für Leute, die nicht zumindest schon Gott 9.0 gelesen (und verstanden!) haben – und schon dieses Buch wäre meinen Gemeindegliedern zu kompliziert und theoretisch gewesen. Mir bleibt nur, die Gedanken aus diesem Buch soweit möglich in das Denken und die Lebenswirklichkeit meiner Gemeinde zu übersetzen – bei allem, was ich als Pfarrerin tue.

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