MODUL GEIST: Das Zentrierende Gebet

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Neben dem Jesusgebet (oder auch Herzensgebet) gibt es noch das Zentrierende Gebet oder Gebet der Sammlung als christliche Form der Mediation.

In den 70er-Jahren griffen einige Trappistenmönche der St. Josephs-Abtei in Spencer, Massachusetts, auf verschiedene mystische Schriften, darunter den mittelalterlichen Klassiker aus dem 14. Jahrhundert „Die Wolke des Nichtwissens“, zurück und entwickelten daraus eine Praxis, die sie das „Centering Player“ – Zentrierendes Gebet- nannten. Anschließend hielten sie Vorträge, führten Seminare durch, schrieben Bücher und gründeten ein landesweites Netzwerk, „Contemplative Outreach“, um es unter die Leute zu bringen.

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Der bekannteste Gründervater ist der Mönch und Abt Thomas Keating. Er war geistlicher Lehrer und Autor. Mit Ken Wilber stand er in regem Austausch. Anlässlich dessen Tod voriges Jahr im Oktober veröffentlichte Wilber seinen Abschiedsbrief, worin es unter anderem heißt: „You are still the holiest person that I have ever met“.

Für alle, die das Gebet der Sammlung noch überhaupt nicht kennen, lässt sich die ganze Methode mit vier Wörtern beschreiben: Wiederhole schweigend ein Wort. Alles andere ist Kommentar dazu – hilfreich, anregend, aber dennoch eben nur noch Kommentar. (Jens Söring, Wiederhole schweigend ein Wort: Wege zur inneren Freiheit, 2009)

Jens Söring sitzt seit über zwanzig Jahren in den USA im Gefängnis. Er ist angeklagt, einen Doppelmord an den Eltern seiner damaligen Freundin begangen zu haben, streitet das aber bis heute ab. Das Gebet der Sammlung hilft ihm, den Alltag im Gefängnis zu durchstehen. Er schreibt:

Von Antonius in Ägypten bis zu Thomas Keating in Spencer übten die christlichen Kontemplativen das schweigende innere Gebet im Rahmen abgeschirmter Ordensgemeinschaften […] Ich dagegen begann meinen Weg […] im strengeren der beiden Hochsicherheitsgefängnisse von Virginia, wo mir Mörder nachstellten, um mich zu vergewaltigen, und die Wächter fast jeden zweiten Tag Schüsse abgaben. So kann ich aus ureigener Erfahrung etwas bezeugen, was die Mönche und Nonnen in ihren Klöstern und Gemeinschaften in dieser Form nicht erlebt haben dürften: dass das kontemplative Gebet tatsächlich „den Frieden Gottes“ bringt, „der alles Verstehen übersteigt“ (Philipper 4,7)

Auf einem deutschsprachigen Flyer, den ihr von der Seite von „Contemplative Outreach“ (www.contemplativeoutreach.org) herunterladen könnt, findet sich eine Kurzanleitung:

  • 1. Wähle ein Heiliges Wort als Symbol deiner Intention, der Anwesenheit und Aktion Gottes in dir zuzustimmen.
  • 2. Bequem sitzend und mit geschlossen Augen sammle dich kurz und schweigend, führe das Heilige Wort ein als Symbol deiner Bejahung der Anwesenheit und Aktion Gottes in dir.
  • 3. Wenn du von deinen Gedanken abgelenkt wirst, kehre behutsam zum Heiligen Wort zurück.
  • 4. Am Ende der Gebetszeit verweile ein paar Minuten mit geschlossenen Augen in Stille.
  • Unter Gedanken fallen alle „körperliche Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen und Reflexionen.“
  • Empfohlen werden zweimal am Tag 20 Minuten

Die Anleitung erinnert stark an die zum Ruhegebet, wie es von Peter Dyckhoff gelehrt wird, vermutlich, weil beide wesentlich durch Johannes Cassian inspiriert wurden.

Der Unterschied zum Beten mit einem Mantra liegt vor allem darin, dass zum Wort nur zurück gekehrt wird, wenn wir merken, dass unsere Aufmerksamkeit sich fokussiert hat (auf eine Idee, eine Erinnerung, ein Gefühl etc.). Die Intervalle zwischen dem heiligen Wort können also recht unterschiedlich lange sein und gehen damit NICHT im Atem- oder einem anderen Rhythmus. Da ich schon eine lange Zeit mit dem Jesusgebet vertraut bin, kann ich definitiv sagen: Es fühlt sich anders an.

Bezüglich des „heiligen Wortes“ gilt: Je kürzer, desto besser. Je weniger emotional, assoziativ besetzt, desto besser. Ich habe einfach Gott darum gebeten, mir ein Wort einzugeben und das, das irgendwann kam, war zweisilbig und völlig sinnfrei. Und genauso ist es perfekt – schließlich dient es nur als Symbol und Werkzeug.

Eine bekannte Lehrerin des Gebets, Cynthia Bourgeault, erzählt immer eine kleine Anekdote, die wunderbar den Kern des Gebets zum Ausdruck bringt. Während einem Seminar von Thomas Keating habe eine Nonne, die das Gebet das erste Mal ausprobiert habe, geklagt: „Oh, Vater Thomas, ich bin so eine Versagerin bei diesem Gebet. In zwanzig Minuten hatte ich zehntausend Gedanken!“ Und  Thomas Keating habe geantwortet:

„Wie wunderbar. Zehntausend Gelegenheiten zu Gott zurückzukehren.“

Und genau das ist der Kern: Gedanken sind kein Hindernis, sondern eine Gelegenheit, ihr Loslassen zu üben und damit Schritt für Schritt weniger an ihnen zu kleben. Immer wieder loslassen und zurückkehren. Loslassen und zurückkehren. Loslassen und zurückkehren. Loslassen… ihr kriegt, worum es geht.

Cynthia Bourgeault ist der Ansicht, dass das Christentum mit dem Gebet der Sammlung über eine Meditationsform verfügt, die wie keine andere dazu geeignet ist, in nonduales Bewusstsein zu führen. Was sie darunter versteht und welche Gründe sie dafür anbringt, erfahrt ihr im nächsten Artikel…

Cynthia Bourgeault: Das Herz im Gebet der Sammlung

Eine übersichtliche und hilfreiche Zusammenstellung verschiedener kontemplativer Praktiken im Christentum findet ihr übrigens auf diesem Blog:

https://wider-deeper.blog/2019/08/22/praxis-des-christlichen-kontemplativen-gebets-ein-ueberblick/

Bildquelle: Thomas Keating, Quelle: Christopher, Commons Wikimedia, Thomas_Keating_discussion_with_the_Dalai_Lama_Boston_2012.jpg

15 comments

  1. Danke, liebe Sandra. Verstehe ich es richtig, dass es in Deutschland noch keine Community gibt, die mit diesem Zentrierungsgebet arbeitet und dass die Community vor allem über Internet läuft? Oder gibt es auch lokale Gruppen?

  2. Man braucht dafür weder Gemeinschaften, noch Körperschaften .
    Das einzige, was brauchbar ist, ist die Konzentration des Geistes gebunden an Hingabe. Und dies ist eben die heilige Brücke zur vergessenen Göttlichkeit des Menschen.

    1. Dem kann ich nicht zustimmen. Das Gebet in der Einsamkeit ist kein Ersatz für eine Gemeinschaft, die für unser Menschsein mindestens ebenso wichtig ist, sondern eine Ergänzung, die uns im besten Fall nach und nach zu einem etwas angenehmeren Teil innerhalb dieser Gemeinschaft macht.

      1. Wissen ist der erleuchtetete Zustand der Zeit-Raumlosigkeit , in dem keine Unterscheide, Egos und Abhängigkeiten vorhanden sind.

        Eine menschliche Gemeinschaft kann jederzeit in diesem gegenwärtigen Zustand entgleiten.
        Wo ein Pyramide vorhanden, dort Interessen.
        Wo Interessen, dort Schichten und Unterschiede.
        Wo Schichten und Unterscheide, dort Unwahreheit , weil Leiden.
        Wo Leiden, dort Unwissenheit.

      2. Ich habe mir jetzt erlaubt deine restlichen Antworten zu löschen. Ein kurzer Kommentar wäre vollkommen ausreichend gewesen zur Diskussion. Alles weitere betrachte ich zukünftig als Spam.

      3. Mach, wie du es für richtig hältst. Es ist schließlich dein Blog. Doch bedenke, bitte: DEINE Richtigkeit ist nicht unbedingt DIE Richtigkeit. Manchmal ist es nur Ego- Notwendigkeit.
        Wenn du es für notwendig hältst, kannst du alle Kommentare entweder löschen oder all die unerwünschten Kommentatoren sperren.
        Du bist ja die Hausherrin.

  3. Der einzige Raum, der betreten sollte, ist der des eigenen Herzens. Wenn der Geist ins Herz absteigt, so erhöht sich der Mensch in den Wirklichkeitshimmel.
    Konzentration auf ein Wort, einen Gedanken, ein Bild oder einen Ton – das ist es, was dem Geist als Fixierung dient.
    Mehr ist wirklich nicht notwendig.
    Kirchen, Riten, Texte, Doktrinen, Dogmen, Philosophien, Rituale, Priester und Gemeinschaften sind alle überfüssig und können zu Hindernis wegen absoluter Abhängigkeit werden.

  4. Jeder Händler lobt seine Ware, jede Religion ihre Dogmen.

    Religion befreit nicht wirklich den menschlichen Geist, sondern bindet ihn fest an sich.

  5. Das höchste Gut in allen Welten ist das Wissen oder die absolute Freiheit. Denn so wie einst Joschua mal sagte: „das Wissen wird euch frei machen“, sage ich hier auch: Freiheit und Wissen sind eins. Man kann nicht wissend sein und in Fesseln leiden, aber auch nicht frei sein und in tiefer Unkenntnis seindaüber, was oder wer man eigentlich ist. Jenseits des Körpers , der Gefühle und Gedanken. Jenseits der vergänglichen und täuschbaren, ja gleitender Persönlichkeit, die das wahre göttliche Selbst verbirgt.
    Und diese Freiheit, das diamantene Gut, erlangt man nicht durch Abhängigkeit gegenüber von etwas oder jemandem, sondern durch Abschaffung von Keilen, Bindungen, Ballast und Ankern, die das eigene göttliche ewig strahlende Lichtwesen strangulieren.
    Freiheit erlangt man weder durchs Lesen, Anhäufen von Theorie, die zu Ballast wird, auch nicht durch Hörensagen davon und auch nicht durchs Denken daran oder Sprechen davon.
    Freiheit ist ein rein geistiger Zustand, der allen Menschen mit Leichtigkeit entgleitet.

    Sie kann nur durchs Erinnern wieder gewonnen werden.
    Du kannst frei sein nur insofern du weißt, was du bist.
    Dass du reiner Geist, Absolutes Bewusstsein bist. Das Selbst, jenseits von Form, Name, Geschlecht, Familie, Beruf, Neigungen oder Abneigungen oder sozialer Status.
    Das Selbst, das du bist, und du durch unglaublich vielen Wiedergeburten vergessen hast. Immer und immer wieder.
    Bis jetzt.
    JETZT liegt es bei dir, dich deiner zu erinnern.
    Und Freiheit zu genießen.
    Denn geistige Freiheit ist das einzige, was dir immer fehlt. Was der Menschheit fehlt. was dich abhängig und Diener macht. Was dich gebückt hält, in langen, langen rostigen Ketten festhält. Und dir scheinbar glüchkliche Momente beschert, als du kurz die Ketten vergaßt.

    Keiner kann dich befreien außer dir selbst. Außer DEIN SELBST.
    Und du bist eben dieses unbeschreibliche lichtvolle Selbst, das Zeit und Raum nicht kennt.

  6. Jegliche Meditationsform, ob Zen, Jesus- oder Herzensgebet, jesuitische Kontemplation oder hier das Zentrierende- oder Gebet der Sammlung führt in die innere Ruhe. Dies ist vorerst mal sehr hilfreich in manchen Lebenssituation.
    Dabei geschieht aber auch Verdrängung welche situationsbedingt und momentan dienlich sein kann. Verdrängtes kann nicht auf Dauer gedeckelt werden. Es bedarf der Heilung. Verdrängte, abgespaltene Lebensinhalte, Traumen und ähnliche Energien müssen transformiert und integriert werden. Das gelingt nur wenn Meditation komplettiert wird
    mit Therapien, besonders mit Therapien aus der Transpersonalen Psychologie. Eine der markantesten „Nebenwirkungen“ bei den Therapien aus der Transpersonalen Psychologie sind mystische Bewussstseinszustände, Alleinheitserfahrungen. Nur der Fokus auf die mystische Verbindung bringt es, läßt dienliche, meist sehr paradoxe Perpektiven zu von denen aus für Probleme, Themen und Traumata mögliche Heilungschancen gegeben sind und Bewusstseinsevolution sich einstellt. Alleine mit Meditationen dreht man sich meist nur im Kreis. Es bedarf auch der Selbstreflektion, der Auflösung von Verdrängungen, der Schattenarbeit und der Traumaheilung. Dabei können manche Meditationsformen passensende Hilfsbestandteile sein.

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