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Eine schreckliche Freiheit: Die Geschichte von Nikodemus

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Ins Deutsche übertragener Auszug aus “The Way of the Wind. The Path and and Practice of Evolutionary Christian Mysticism” von Bruce Sanguin. Midrasch. (S. 111 ff.)

Nikodemus lag vor Sonnenaufgang im Bett, vom Wind wach geworden, und dachte über sein Treffen mit dem Nazarener letzte Nacht nach, ein Treffen, dass nicht sein sollte, sogar im Schutz der Nacht, mit bedecktem Kopf, damit er nicht von den anderen Religionsgelehrten gesichtet würde. Sie waren, das wusste er, ebenso fasziniert von dem Bauer aus dem Norden im Nirgendwo. Aber sie hatten ihn abgelehnt. Ein Kurpfuscher, ein Scharlatan, ein weiterer Messiasanwärter. Wie konnten sie, fragte er sich selbst, die Heilungen, den Überfluss an Weisheit, die spirituelle Autorität seiner Lehre ablehnen?

Er wusste schon, warum. Er brach das Gesetz, er forderte die Tradition heraus, und er hatte ein Wissen, das nicht vom Hörensagen kam. Vor allem zeigte er wenig Respekt vor deren Amt, deren Status unter den Leuten. Er sah in ihre Seelen und dies, über allem anderen, konnten sie nicht ertragen. Sie hörten ihm nicht zu, weil sie ihn nicht hören konnten, ohne in eine solche Aufruhr zu geraten, wie Nikodemus es nun gerade tat.

Nikodemus sah, wie der Wind den Vorhang neben dem Bett bewegte, hörte auf den Atem seiner geliebten, schlafenden Frau. Wie hatte der Nazarener es ausgedrückt?

„Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.

Johannes 3,8

Eine Sehnsucht wallte in Nikodemus auf. Er erinnerte seine Jugendzeit, als er regelmäßig durch die Weizenfelder rannte, verfolgt von den ansässigen Hunden. Er lag auf seinem Rücken, während die Hunde sein Gesicht abschleckten, und wunderte sich, was wohl hinter der blauen Kuppel läge. Er wollte das alles. Er spürte das Leben mit einer solchen Wucht, die ihn fühlen ließ, als ob er explodiere. Ja, das war die Freiheit, nach der er sich sehnte. Die Freiheit, dem Wind dorthin zu folgen, wo immer er auch hinwehte. Die Freiheit, neugierig zu bleiben und nicht zu wissen. Die Freiheit, einer Intuition zu folgen, das Leben dafür zu riskieren.

Dieser Nazarener bewegte sich wie der Wind. Er war niemandes Sklave, aber jedermanns Diener. Er schien nie darüber nachdenken zu müssen, was er sagen wolle, bevor er es sagte. Und wenn er sprach, war es wie ein Donnerschlag. Seine Stimme war das Versprechen einer großen Erleichterung, die bald kommen würde, wie ein Frühlingsregen. Wenn es Zeit war, weiterzuziehen, zog er weiter. Wenn es Zeit war, aufzuhören, hörte er auf. Nichts schien sein Hören auf die Eingebungen des Geistes zu stören. Was weiß er, was ich nicht weiß? Woher kam diese Freiheit? Wie kam es, dass er sie nie verloren hat? Der Wind war nicht immer sanft, oder, grübelte er. Er “hatte die Zedern zerbrochen, die Zedern vom Libanon, und die Wälder leer gefegt. Er brachte Eichen zum wirbeln.”

Er hatte diesen Psalm eben in der Synagoge gesungen. Wir singen diese Worte, wurde ihm klar, aber wir hören sie nicht, oder sie würden uns den Wurzeln ausreißen.

Zu wem könnte er über all das sprechen, was er durchmachte? Aber da war niemand, der ihm wirklich zuhören könnte, ohne zu versuchen, ihn zu beschwichtigen. Jetzt wusste er, warum er alles riskiert hatte, um mit dem bäuerlichen Mystiker zu sprechen. Er spürte einen Moment Scham, dass er das ganze als eine theologische Debatte gerahmt hatte, wenn das, was er wirklich hatte fragen wollen , war „Wer bist du? Wie kommst es, dass du so lebst, wie du lebst? Woher kommt deine Macht und deine Weisheit? Was ist es, was dich so frei zu sein scheinen lässt? Was siehst du? Was muss ich. tun, um so zu sehen?“

Wie hatte Jesus es formuliert?

„Wenn jemand nicht von oben her geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen”.

Dieses „Von oben geboren werden“ hatte etwas damit zu tun, alles loszulassen, von dem alle meinten, das es wichtig sei. Es bedeutete, seine sorgfältig konstruierten Glaubenssätze gehen zu lassen und den theologischen Scharfsinn, für den er bekannt und geehrt wurde. Oh ja, es bedeutete mehr als das! Ein Moment des Schauderns überkam ihn, als ihm der Gedanke kam: “Von oben her geboren zu werden, bedeutet zu allererst und vor allem, Nikodemus loszulassen – lass Nikodemus los und alles andere kommt zu dir.” Diese Mantra wiederholte sich immer und immer wieder. Das Bett fühlte sich an, als ob es sich drehte. Verlor er gerade seinen Verstand?

Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.

Diese Worte waren eine Folter, ein Sturzbach, der über ihn hinweg jagte. Alles, was er mit Nikodemus verband, begriff er, war „aus dem Fleisch geboren“. Was Jesus auch sonst noch machte, er griff bis in seine Seele, den Nikodemus des Weizenfeldes, den „er“, der aus dem Geist geboren war. Es war eine kaum auszuhaltende Qual, diese Wahrheit, um die er wusste, aber den Mut, sie zu leben, er nicht besaß.

Er dachte über sein Leben nach, ein Leben, dass er angefangen hatte, zu lieben. Zu sehr vielleicht? Ein gutes Leben nach allgemeinem Standard. Aber an welchem Punkt wurde das Gute der Feind des noch besseren? Die letzte Zeit war er unruhig geworden. Seine Frau hatte begonnen, sich Sorgen zu machen. Er war ungeduldig geworden mit diesen endlosen theologischen Debatten. Was ihn einst fasziniert hatte, bereitete ihm jetzt Kopfschmerzen. Die Gebete schienen leer. Die Rituale erschienen ihm eher als ein Schutzschild gegen Gott als ein Weg, sich mit ihm zu verbinden. Er starrte oft ins Leere, bis sein Frau ihn wieder zurück rief.

Vielleicht bedeutet diese Unruhe, dass der Geist ihn aus der Mitte brachte? Vielleicht war er die Zeder des Libanons, die es notwendig hatte, von der heftigen Gnade des Windes gebrochen und entblößt zu werden. Er war die mächtige Eiche, die, in zumindest in seiner Seele, aufgehoben werden wollte und aus seinem Geist heraus gewirbelt in die Unterwerfung, von einer Kraft, die stärker war als seine Angst vor Bewegung. Er hasste diese Gedanken. Aber er fühlte sich lebendig. Das konnte er nicht leugnen.

Um die Zeit, als das Frühstück fertig war, wusste er, dass er diese Gedanken vergessen würde. Eine notwendige Amnesie. Er wusste das, weil es so seit einigen Jahren jeden Morgen lief – seit dem Moment, als er von Jesus Wind bekommen hatte. Er wusste, dass sein Frau ihm Frühstück machen würde und ihn bedienen. Sie würde seine Haare zerzausen, wenn sie vorüberginge, und seine Kinder würden im Haus herumrennen. Er würde gehen, um sich mit seinen Dienern zum Morgengebet zu treffen. Seine Gebete würde ihm helfen, den Sturm zu besänftigen. Er würde auf seine Freunde schauen, die ihn über die Jahre gefeiert und unterstützt hatten, und er würde sich selbst vergewissern, dass dies sein Leben sei.

Er verstand nicht die Tränen, die jetzt sein Gesicht herunterliefen, während ihm diese Gedanken kamen. Oder warum er leise aufstand, um alle Fenster zu schließen. Es schien ihm jetzt absurd, dass er nach seinem Treffen mit Jesus wenigstens für eine Minute gedacht hatte, dass alle Dinge möglich seien, dass er seine Frau überreden könnte, ihm zu folgen, dem Nomaden aus dem Norden. Er hatte sich frei gefühlt. Gott, hatte er sich frei gefühlt. Für nur einen Moment, hatte er den Wind in seinem Rücken gefühlt.

Er wischte seine Tränen weg, bevor sie seine Frau sehen könnte.

Eigene Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors

Foto von Ketut Subiyanto von Pexels

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