Ein Gastartikel von Johannes Boldt
Wer – wann auch immer in diesen Zeiten – seine Ferien in Spanien verbringen möchte, träumt natürlicherweise von sonnigen Playas der Costa Brava oder gar von der Costa de la Luz, wo er sich entspannt liegen sieht. Dabei verkostet er oder sie in ihren Vorstellungen den Vino Tinto oder von der abwechslungsreichen spanischen Küche, von Tapas oder Paella; träumt von Flamenco oder andalusischen Nächten; von einem Besuch der Galerie im Prado zu Madrid oder des El Greco in Toledo; nicht zu vergessen Aranjuez, die Alhambra oder Mesquita von Cordoba, den geschichtsträchtigen Städten wie Ávila und Salamanca und vieles mehr, was uns das Kulturland Spanien bietet. Ob die Strände und Städte in dieser Zeit der Corona-Krise zunächst nur ein Traum bleiben, ist abzuwarten. Aber Spanien kann man auch zuhause genießen, denn es hat noch mehr als nur diese Strände zu bieten.
Denn, wem sind schon die großen Lyriker und Schriftsteller, die Poeten, Romanciers spanischer Literatur vertraut? Sicher, ein Don Quijote de la Mancha des letztlich doch gefeierten Cervantes, der den Idealismus der Ritter- und Schäferromane mit dem Realismus seines Schelmenromans verbindet, ein Juwel der Weltliteratur wird bekannt sein. Oder Azorín (Pseudonym des José Martinez Ruiz, +1967) mit seinen klassischen Erzählungen über Spanien sowie den Poeten und Philosophen Miguel de Unamuno (+1936) sowie den Nobelpreisträger für Literatur von 1989 Camilo José Cela. Wer aber weiß schon, dass kein europäisches Land eine so umfangreiche mystische Literatur aufweisen kann wie das Spanien des Siglo de Oro? Weit über dreitausend Werke in Vers und Prosa entstanden in Castellano, in der Sprache des Volkes. Ignacio de Loyola, Juan de la Cruz, Alonso de Orosco, Fray Luis de León und die große Spanierin, la Santa, Teresa de Ávila. Mit ihnen überschritt Spanien im 16. Jahrhundert nicht nur seine Reichsgrenzen. Seit der Entdeckung und Eroberung Amerikas trat die iberische Halbinsel nicht allein in die Weltgeschichte ein, sondern bereicherte mehr noch mit seiner Liebesmystik auch die Weltliteratur. Dabei setzten die spanischen Mystiker auf die Entdeckung Gottes in den Herzen der Menschen und seiner Eroberung durch hingebende Liebe – als Troubadoure Gottes. Oder wie Ramon Llull es formulierte: „Lernen das Wachsen der Liebe zu lieben“.
Die Spanische Mystik des Siglo de Oro, des Goldenen Zeitalters – dabei darf man auch das 13. Jahrhundert mit Ramon LLull nicht vergessen – ist eine enorme Bereicherung für die christliche Mystik Europas, denn sie beweist ihre praktische, ja politische Seite, ohne ihre intellektuelle aufzugeben. Sie gibt für das Verständnis der Mystik, das durch den heute weitverbreiteten Mystizismus jeglicher Herkunft gelitten hat, neue Einsichten. Damit verhindert sie den Begriff der „Mystik“ zu einem literarischen Schlagwort, zum – wie P. Sudbrack es einmal formulierte – „Container- Begriff“ zu werden, um alles, was irgendwie nach Weihrauch oder religiöser Esoterik riecht, zu mißbrauchen. New Age, okkulte, spiritistische oder parapsychische Phänomene muss das Wort „Mystik“ oder „mystisch“ heute abdecken.
Christliche Mystik, belegt durch das Leben der Mystiker und Mystikerinnen, ist aber jeder Schwärmerei und Geschäftemacherei oder seelischer Abenteuerlust Widersacher. Spanische Mystik will keine Geheimlehre sein; sie wurde eher so etwas wie eine Volksbewegung in Spaniens Siglo de Oro und damit offen für jeden, der bereit ist, sich auf den Weg der inneren Einkehr und Selbsterkenntnis zu begeben, um aus seiner Kontingenz in die Transzendenz Gottes zu treten.
Auf das Subjekt, auf den Menschen (anthropozentrisch/psychologisch) und seiner Bestimmung war die spanische Mystik und Geisteshaltung im 16. und 17. Jahrhundert fokussiert, wo sie im Siglo de Oro ihre Ausprägung erfuhr. In ihrem Mittelpunkt der Mensch, standen die menschliche Seele und die Wirkungen Gottes in ihnen. Ihr neues Denken war mehr dem Menschen und seiner individuellen Persönlichkeit zugewandt. Sie rufen uns gerade in Krisen zum Innehalten auf und können und uns ermutigen, auch mit solchen Situationen unseres Lebens zurecht zu kommen. Damit demonstrieren sie, dass der Mensch mehr ist als nur ein funktionierendes Wesen, ein Rädchen im Wirtschaftskreislauf und in seiner Selbstüberschätzung, heben mehr seine Würde als Geschöpf Gottes hervor. Ihre Texte, Prosa und Poesie sind auch aus Lebenskrisen entstanden, aus denen sie in heilsamer Selbstkritik herauskamen. Die Mystiker und Mystikerinnen verkörperten einen Glauben, der die Erde liebt und sie nicht abhob, sondern als Liebende zu den Menschen trieb, wie uns Johannes vom Kreuz besingt:
Mein sind die Himmel und mein ist die Erde; mein sind die Völker, die Gerechten sind mein, und mein sind die Sünder; die Engel sind mein und die Mutter Gottes ist mein und alle Dinge sind mein, und Gott selbst ist mein und für mich, denn Christus ist mein und alles ist für mich. Was ersehnst und suchst du also noch, meine Seele? Dein ist all dies, und alles ist für dich.
Johannes vom Kreuz
Demgemäß konstatiert der Physiker Hans-Peter Dürr (+München 2014) in seinem Buch „Liebe – Urquelle des Kosmos“,: Es ist die Liebe, die uns ins Leben rief und leben lässt. Gerade in Menschheitskrisen, in denen sich jeder selbst der Nächste ist, einem zunehmenden Werteverfall, wo Solidarität und Subsidiarität zu Fremdwörtern geworden sind, erinnern uns die Mystik an unsere mystische Seite, an eine menschliche Dimension, in der sich der Mensch entfalten und verwirklichen, einer Selbstentfremdung, von Mitmensch und Gott, entgegenwirken kann, zu neuem Leben weckt.
Spanische Mystik ist Liebesmystik, „ciencia de amor“, Wissen aus Liebe, wie uns der große Kirchenlehrer der Mystik, der Karmelitermönch Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz +1491) in seinen lyrischen Versen seiner Llama de amor viva (Lebendige Liebesflamme) besingt:
Flamme der Liebe, die so zärtlich mich berührt in meiner Seelenmitte, nicht kann ich ihr widerstehen…
Seine Gotteserfahrung ist die Liebe. Und liebende Menschen sollen wir sein.
In der Liebe verwirklichen wir unser Menschsein. Die Liebe ist das Alpha und Omega, der Mystik höchstes und letztes Streben, die den Menschen im Glauben „vergöttlicht“, ins „Milieu divin“ (Teilhard de Chardin) erhebt, zur „unio mística“, zur Einheit des Menschen mit Gott trägt. Demzufolge erscheinen uns die spanischen Mystiker mit ihrer Lyrik, Prosa und Poesie, in ihrer Liebenden Hingabe wie Troubadoure Gottes. Ähnlich wie der Minnedienst der Troubadoure für ihre angebeteten Damen im 12. Jahrhundert ist es nunmehr ein Minnedienst für Gott, dem Geliebten: lieben und geliebt werden, wachsen in der Liebe (Ramon Llull).
Mystik erfährt sich so als heilende Quelle für den sich selbstentfremdeten und sich in eine Selbstdestruktion „verliebten“ Menschen von heute. Wenn wir also von Spanien sprechen und von den anfangs erwähnten Eindrücken und Vorstellungen träumen, so sollten uns diese Träume auch zu Spaniens Mystiker und Mystikerinnen führen. Es lohnt sich nach España Mística zu reisen; ins ganze Spanien, denn in ihr träfe man den ganzen Menschen in der Einheit all seiner Dimensionen: körperlich, seelisch und spirituell und vor allem in seiner Sehnsucht in Zeiten von Corona. Ein Verfall in eine Lethargie könnte eine Beschäftigung mit den mystischen Schriften der großen spanischen Mystiker und Mysterinnen entgegenwirken, somit von großem Nutzen sein und eine neue Sicht unseres Daseins erahnen lassen. Auch unsere Seele braucht Strände, Strände des Liebens und Geliebt-Werdens:
Herz, worauf wartest du? Lieben kannst du sofort!“
Johannes vom Kreuz
Eine universelle, existentielle Botschaft für uns heute in Zeiten der Pandemie.
Der Autor ist Diplom Theologe., Referent für Religions- und Weltanschauungsfragen und Gastdozent an der Universidad de la Mística OCD Ávila. Er ist u.a. Autor der Werke “Troubadoure Gottes. Eine Einführung in die Spanische Mystik des Goldenen Zeitalters” und “Gotttrunkene Poeten. Juan de la Cruz und die Sufi-Mystik.”
Quelle Bild: Bild von marcinjozwiak, Pixabay
Wo viel Licht ist ist viel Schatten. Beim Schwelgen in Spaniens Mystik darf man auch nicht vergessen, dass es kein christliches Volk gab, das mit solch unglaublicher Brutalität in den neuen Ländern Amerikas gewütet und getötet hat wie die christlichen Spanier. Welchen Wert hat dann die Mystik, die zu dieser Zeit schon geschrieben und gelebt war, wenn Millionen Indios den christlichen Conquistadores im 14. 15. und 16. Jahrhundert zum Opfer gefallen sind. Was Hitler für die Juden, das waren die “christlichen“ Spanier für die Indios. Ein Hurra? für das spanische Christentum.! Auch heute noch ist Opus Dei ein Zeichen für das faschistische Christentum aus Spanien, eine Schande für für das Christentum und eine Fortschreibung der herzlosen spanischen spirituellen Mörder.