Die Seele – betrachtet nach den Stufen von Spiral Dynamics

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Gastartikel von Petra Horn

Petra Horn ist Theologin, Telefon-Seelsorgerin, Coach und Supervisorin. Im Anschluss auf meine Frage im letzten Blogartikel „Wie würdet ihr Seele definieren?“ hat sie für uns das Verständnis von „Seele“ durch die Stufen hinweg untersucht. Hier ihre Ergebnisse, die ich für sehr aufschlussreich halte.

Der Versuch das Thema „Seele“ durch die verschiedenen Ebenen von Spiral-Dynamics durch zu deklinieren, führte zu der Überlegung, dass ich das Thema der „Seele“ mit dem Thema des „Bewusstseins“ zusammen sehen und beschreiben muss. Auch erscheint es mir sinnvoll, die Rede von der Seele, wo es möglich ist, mit den jeweiligen Jenseits-Vorstellungen einer Entwicklungsstufe verknüpft zu betrachten.

Beige (Ich-Stufe)

Hier geht es ums Überleben, um basale Bedürfnisse von Körper, Nahrung, Obdach und Wärme. Gedanken über die Seele spielen eigentlich keine Rolle. Individualpsychologisch gesehen lebt der Säugling noch in einer symbiotischen Einheit mit seiner Mutter. Im Blick auf die Entwicklung des Homo sapiens haben die ersten Menschen vermutlich noch so archaisch in Einheit mit der Natur gelebt, dass sie sich von ihrem Bewusstsein her mit der Umwelt verbunden erlebten. Das ändert sich aber, als der Mensch beginnt seine Toten zu bestatten.

Purpur (Wir-Stufe)

Auf dieser Kulturstufe leben die Menschen in Sippen und Clans. Die ganze Natur ist „beseelt“, alle Lebewesen, Tiere, Bäume, Berge werden als beseelt angesehen. Wenn Menschen sterben, leben sie als Ahnengeister innerhalb ihrer Sippe weiter. Die Ahnen sind ein bleibender Teil der Familie und der Sippe. Bestattungen finden sogar z.T. im Hause statt. Es ist normal, dass alles Belebte eine „Seele“ hat. Es gibt Naturgeister, gute Geister, böse Geister. Der kundige Schamane besitzt Macht über Ahnen und Geister.

Rot (Ich-Stufe)

In den Jenseitsvorstellungen der roten Stufe kommen etwa die Seelen der gefallenen Kriegerhelden in einen besonderen Götterhimmel, wie Walhalla bei den Germanen. Die Seelen der Normalsterblichen können verschiedenen Vorstellungen unterliegen. In der griechischen Mythologie finden sich allerdings auch die trojanischen Helden als Schatten in der Unterwelt wieder.

Blau (Wir-Stufe)

Ab der Großreiche bildenden Kulturstufe, etwa im Alten Ägypten, gibt es in der Regel auch das Konzept vom Weiterleben im Jenseits, kombiniert mit dem Konzept „Bestrafung der Bösen und Belohnung der Rechtschaffenen“.
Im blauen noch „metaphysischen“ Christentum ist es selbstverständlich, dass es eine unsterbliche Seele gibt, die einmalig ist und nur ein Leben lebt. Diese Seele kann je nach ethischem Verhalten in den Himmel oder die Hölle kommen. Die katholisch-scholastische Theologie etwa ist dabei beeinflusst von griechisch- metaphysischen Konzepten der Seele, wie sie sich bei von Plato und Aristoteles finden.

Im buddhistisch/ hinduistischen Kontext ist die Vorstellung ebenso normal, dass eine unsterbliche Seele existiert. Diese Seele durchlebt viele Inkarnationen, bis sie ins Nirwana eingeht. Gut und Böse spielen hier insofern eine Rolle, als gutes Verhalten positives Karma, böses Verhalten negatives Karma erzeugt.

Orange (Ich-Stufe)

Der Entmythologisierung in der Theologie fällt auch die unsterbliche Seele zum Opfer. In oranger evangelischer Theologie und Seelsorge-Lehre wird die Seele zur „Denkfigur“ (Prof. Isolde Karle, praktische Theologie). Extrem betrachtet gibt es die „Ganz-Tod- Theorie“. (Systematikprofessor Eberhard Jüngel) Der Mensch stirbt, bleibt aber in Gottes Gedächtnis lebendig. Aber von einer unsterblichen Seele, die unabhängig vom Körper existiert, geht moderne „orange“ Seelsorge nicht mehr aus.

Der Mensch hat wissenschaftlich psychologisch betrachtet eine Psyche, die Emotionen wie Liebe, Hass, Freude, Trauer erleben kann. Diese Psyche kann traumatisiert, aber auch behandelt werden.
Die moderne Psychologie bedient sich wissenschaftlich empirischer Forschung, behandelt psychische Krankheiten vorrangig medikamentös oder mit Verhaltenstherapie. Es gibt das Konzept des Unbewussten, der Psyche, innerer Anteile (Bsp. inneres Team nach Schulz von Thun), aber keine metaphysische Seele mehr.

Das menschliche Bewusstsein wird als eine höher entwickelte Funktion des Gehirns, speziell des präfrontalen Kortex betrachtet. Bewusstsein kann nicht unabhängig gedacht werden. Stirbt beim Tod das Gehirn, endet auch das Bewusstsein.

Grün (Wir-Stufe)

Die Belebung der Natur kehrt in der Esoterik zurück. Das ermöglichen transrationale Konzepte, die aber oft noch der Prä-Trans-Verwechslung unterliegen. Man neigt dazu, die pupurne Entwicklungsstufe zu überhöhen. Aber der Glaube an, der Kontakt mit und die Erfahrung von Wesenheiten aus der unsichtbaren Welt kehrt zurück.
Elementarwesen-, Engel-, Geistführer-, Jenseitskontakte werden praktiziert. Es taucht neues medial vermitteltes Wissen aus der unsichtbaren Wirklichkeit auf, etwa das einer „Seelen-
Lehre“ (Varda Hasselmann, Frank Schmolke), die zwischen unsterblicher Seele und vergänglicher Psyche unterscheidet. Der Gedanke der Reinkarnation als Entwicklungsweg der Seele findet auch im Westen zunehmend neue Anhänger.
Durch viele Tausende dokumentierte Nahtod-Erfahrungen kehrt die Überzeugung von der Existenz einer unsterblichen Seele bei den Betroffenen zurück. Durch ihre Erlebnisse sind die Betroffenen überzeugt, dass Bewusstsein unabhängig vom physischen Körper existieren kann, weil sie sich mit einem „Körper“ anderer Art erlebten.
Die „Psyche“ wird in der Psychologie zunehmend „weiter“ gesehen als nur die individuelle Psyche. Beispiele sind etwa das kollektive Unbewusste, trans-generationale Wahrnehmung von Phänomenen in der Aufstellungsarbeit, Timeline-Arbeit, der Epigenetik. Auch erste Konzepte von trans-personaler Psychologie tauchen auf. Spirituelle oder mystische Erfahrungen werden als erweiterte Bewusstseinszustände zunehmend ernsthaft psychologisch erforscht.

Gelb (ich-Stufe)

Das integrale Konzept von den drei Körpern bringt mit sich, dass es neben dem manifesten Körper auch einen „subtilen“ und „kausalen“ Körper gibt. Letztere existieren als Energie-Körper (etwa emotionaler Körper, mentaler Körper) unabhängig von Zeit und Raum und existieren darum auch nach dem Tod des physischen Körpers weiter.

Es wird durch eigene spirituelle Erfahrung selbstverständlich zu denken, dass subtiles oder kausales Bewusstsein unabhängig von physischer Gehirnfunktion existieren kann. Dieses Konzept macht es sowohl kognitiv als auch gedeckt von der eigenen Erfahrung wieder möglich von einer unsterblichen „Seele“ zu sprechen.

Die ab Grün zugänglichen Erfahrungen und Konzepte sind jetzt ohne Prä-Trans-Verwechslung verstehbar und lösen in der Regel auch keine Angst mehr aus. Sie werden nüchtern forschend betrachtet, erprobt und bewertet.

Türkis (Wir-Stufe)

Für Türkis als das (Purpur auf 2nd Tier) sind transrationale und transpersonale Erfahrungen völlig normal bei gleichzeitiger Wertschätzung und Anerkennung des Ich- Konstruktes, das als für die Alltagswelt nötige Identifikation geschätzt werden kann.
Kontakte mit Entitäten der unsichtbaren Welt, subtile „mystische“ Erfahrungen mit belebter Natur, erweiterte Bewusstseinszustände sind längst kein Widerspruch mehr zur kognitiv- wissenschaftlichen Wahrnehmung der Welt.

Das alte biblische Bild von der „Wolke der Zeugen“ (Hebräerbrief) wird etwa neu verstehbar und erlebbar als die subtile Präsenz von Jesus, Maria, den Heiligen oder „Spiritual guides“ (Paul Smith). Subtiler und kausaler Körper als unsterbliche „Geist-Seele“ sind jetzt unbezweifelt durch eigene Erfahrung.

Non-duale Erfahrungen werden zunehmend zugänglich. Wir sehen und erleben die Einheit allen Seins mit allen – auch den unsichtbaren – Wesenheiten.

Bild von Diego Saldiva, „Seele“, Flickr.com

7 comments

  1. Sehr inspirierender Beitrag! In Bezug auf solches Seelenverständnis ist im Christentum noch Luft nach oben. Mystik z. B. wird gerade unter Protestanten meiner Erfahrung nach eher stiefmütterlich behandelt. In der katholischen oder orthodoxen Tradition finde ich da mehr.
    Thomas Jakob

    P.S.: Der Begriff „2nd tier“ gefällt mir hier überhaupt nicht. Erinnert mich zu sehr an professionelles Denglisch z. B. in der Autozulieferer-Branche. Ich würde dafür „zweite Ebene“, „zweite Reihe“ oder so etwas vorschlagen, Stufe ist ja für die anderen Gliederungen schon verbraucht.

  2. Der Artikel bestätigt einmal mehr, dass Seele die individuelle Verbindung zum göttlichen Ursprung ist, die Rückbindung.

    1. Hallo, ja, das heißt es immer wieder, mir scheint aber die Frage ist eher, was jeweils unter „Seele“ verstanden wird und welchen Hinduismus und welchen Buddhismus wir jeweils meinen, sonst wird das ganze schnell zu simpel und verkennt sowohl die tieferliegenden Gemeinsamkeiten der Religionen als auch deren feine Unterschiede innerhalb. Ein „integrales“ Verständnis von Seele im Sinne der subtilen Ebene oder Dimension des Geistes ist sicherlich eher kompatibel mit der Vorstellung Buddhas als die aus dem „BLAUEN“ Christentum oder Hinduismus. Liebe Grüße

  3. Danke für diesen erhellenden Beitrag. Ich staune immer wieder, wie Vorstellungen und Begriffe bei genauerem Hinsehen, gar nicht mehr so selbstverständlich sind. („Gefühle“ sind auch solch schwer greifbare und doch banale Erfahrungen.) Die Unterscheidung zwischen Individuum und Kollektiv (auch sprachlich) scheint mir dabei wesentlich zu sein, denn streng genommen (dualistisch) scheint dieser Unterschied überhaupt nicht zu existieren, da alles mit allem verbunden ist.

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