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Das Böse – aus integraler Sicht

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Wir haben zu lernen, das Böse zu durchschauen; es gehört zu unserem Menschsein. Und das geschieht leider öfter als uns lieb sein kann dadurch, dass es sich ausagiert.

https://johannesklinkmueller.wordpress.com/2011/11/26/wer-a-sagt-muss-nicht-b-sagen-hilfen-aus-dem-hansel-und-gretel-marchen-gegen-die-macht-des-bosen/

Ich glaube, es gehört zur Berufung des Kontemplativen, das Böse auf erkennbare Spuren hin zu untersuchen und herauszufinden, auf welche wirksamen Möglichkeiten zur Abschaffung des Bösen sie hinweisen.

Beatrice Bruteau, Radiakler Optimismus. Praktische Spiritualität in einer unsicheren Welt, Bielefeld, 2007, 96..

Was ist das – “Böse”?

Angesichts der aktuellen allgegenwärtigen Krisenerscheinungen auf unserem Planeten möchte ich mich mit euch auf die von Beatrice Bruteau angesprochene Suche begeben, “das Böse auf erkennbare Spuren hin zu untersuchen” und mich fragen: Was verstehen wir unter dem “Bösen”? Lässt sich das Böse abschaffen? Und wenn ja, wie?

Bei der Lektüre verschiedener christlich integraler Autoren fiel mir auf, dass das Thema recht unterschiedlich behandelt wird. Manche begründeten, warum sie die Kategorien “Böse und Gute” als problematisch empfinden, andere, wie Cynthia Bourgeault, behalten sie bei.

Es dürfte klar sein, dass im integralen Bewusstsein kein Platz mehr für dualistisches Schwarz-Weiß oder Gut-Böse Denken ist nach dem Motto: “Der/die/das ist gut/böse”. ABER: Im Integralen wird es wieder möglich, nein, zwingend notwendig, natürliche Hierarchien anzuerkennen und den nihilistischen Pluralismus des grünen Mem zu überwinden. Auch ich ertappe mich immer wieder gerne bei Sätzen wie “Es ist alles relativ” oder “Beide Seiten haben auf ihre Weise Recht” etc., aber das ist keineswegs integral, darin spiegeln sich lediglich Erkenntnisse der Postmoderne, die manchmal stimmen mögen, aber nicht immer müssen.

Ganz im Gegenteil: Das Integrale gibt uns Werkzeug an die Hand, Wertungen vorzunehmen. Und in Türkis spüren wir wieder ganz genau hin, ob wir es mit guten oder bösen Mächten zu tun haben.

Definition “Das Böse”

Wikipedia schreibt:

Das Böse ist der Gegenbegriff zum Guten […]. [Es] wird […] als Inbegriff des moralisch Falschen verstanden, oder als Kraft, die moralisch falsches Handeln antreibt, gelegentlich auch als mythologische, das Weltgeschehen beeinflussende Grundkraft, die zum Guten in einem dualistischen oder antagonistischen Verhältnis steht […].

https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Böse

Der Philosoph Jordan Peterson betont in einem Vortrag, dass es wichtig sei, bei den Übeln der Welt (lat. “malum”) zwischen Tragödie und dem Bösen (tragedy and evil) zu unterscheiden. (https://www.youtube.com/watch?v=_vBRGWoK6_4&list=WL&index=10)

Tatsächlich werden bei der Frage: “Wie kann ein guter Gott all das Leid auf der Welt zulassen?” diese Dinge häufig zusammengeworfen: Der Vulkanausbruch und der Massenmord landen dann in einer Kategorie. Im Folgenden soll es der Einfachheit halber ausschließlich um das (moralisch) Böse gehen, dass von uns Menschen ausgeht, auf uns einwirkt und als “böse” gewertet wird. Denn unsere Verletzlichkeit und das damit verbundene Leid gehören notwendig zu unserer irdischen Existenz dazu – das Böse jedoch, je nach Definition, zumindest nicht zwingend.

Um uns einer Definition anzunähern, helfen uns die AQAL-Elemente:

Typen

Bei “Gut” und “Böse” handelt es sich um eine Typologie. Doch wie ist das Verhältnis dieser zwei zueinander? Manche sehen hier eine Dualität (Böse und Gut schließen sich gegenseitig aus; etwas kann nicht gleichzeitig gut und böse sein) oder einen antagonistischen Kampf, andere eine Polarität (Böse und Gut ergänzen sich; es kann kein Gutes ohne Böses geben und umgekehrt), wieder andere nur den Mangel an Gutem und nochmal andere beschreiben das Böse als eine Art Parasiten oder Vampir, das einseitig vom Guten abhängig ist, so beispielsweise die indigene Vorstellung des Bösen als einer Art geistigen Virus, “Wetiko” genannt.

In der christlichen Tradition wurde häufig die dualistische oder antagonistische Vorstellung gewählt: Die Welt, aber vor allem das menschliche Herz, ist dabei der Schauplatz des Kampfes zwischen Gut und Böse, Engel und Dämonen, Gott und Teufel. Gnostische Ansichten, die das Böse und das Gute als ebenbürtige Gegenspieler ansahen oder alles Materielle und Körperliche mit dem Bösen gleichsetzen, wurden offiziell verworfen, spielten aber immer wieder eine Rolle.

Menschen, die dieses Entweder-Oder-Denken überwinden wollen, ziehen es daher häufig vor, von “Polarität” oder “negativ und positiv” zu sprechen statt von “gut” und “böse”. Es geht dann weniger um eine moralisch-ethische Wertung, als vielmehr um wirksame Energien.

Der Philosoph Armin Risi weist allerdings auf die Gefahr hin, die Existenz des Bösen mit ganzheitlichen Philosophien zu rechtfertigen:

„Licht schafft keine Dunkelheit, lässt die Dunkelheit aber zu, wenn sich jemand von „ihm“ abtrennen will. […] Wäre das Böse notwendig, wäre es gleichwertig wie das Gute, so wie dies von monistischen und atheistischen Weltbildern letztlich impliziert wird.“ (Risi, 2021)

Risi, Armin, 2021: Polarität & Dualität: Polarität & Dualität: Die Brisanz der ganzheitlichen Spiritualität. https://armin-risi.ch/Artikel/Philosophie/Polaritaet-und-Dualitaet-Die-Brisanz-der-ganzheitlichen-Spiritualitaet.php#,

Das Gute sei “gut, weil es in Resonanz mit dem Gleichgewicht der göttlichen Ordnung” sei. “Das Böse hingegen definiert sich durch die Negation des Guten”, eines Ungleichgewichts, entweder durch ein Zuviel und dem Zuwenig.

Auch die christliche Mystikerin Beatrice Bruteau nennt es eine “irrige Vorstellung, dass Gut und Böse untrennbar miteinander verbunden sei:

“Das Böse hat keinen Bestand in sich und kann nichts hervorbringen. […] Das Böse […] lässt sich nur vom Guten her vorstellen und es muss gegen etwas existierendes Gutes reagieren, um zu existieren. So ist das Böse vom Guten abhängig, nicht aber das Gute vom Bösen.”

Beatrice Bruteau, s.o., 99.

Das Böse scheint etwas mit dem (bewussten wie unbewussten) Herausfallen aus der göttlichen, natürlichen Ordnung zu tun zu haben. Dazu würde der Name gr. “Diabolos” passen, der so viel wie “Durcheinanderwerfer” bedeutet.
Aurobindo und die “Mutter” vertraten der Ansicht, dass diese feindlichen Kräfte eine bestimmte, selbstgewählte Funktion hätten, und zwar, den Zustand des Individuums und der Erde zu prüfen. Dieser Widerstand nötigte das Gute wiederum dazu, zu noch mehr Selbsterkenntnis und Kraft zu gelangen. (Denken wir nur an Hiob!) Das klingt eher nach einer Art dialektischem Verhältnis, das die Entwicklung vorantreibt. Irgendwann jedoch werde sich auch der letzte Dämon bekehren. Auch in der Bibel finden wir die Vorstellung, dass die Herrschaft des Teufels irgendwann ein Ende hat. (Siehe dazu auch meinen Artikel Engel und Dämonenglaube – überholt?)

Die Schattenseiten der einzelnen Strukturen

Beige: tierisches Verhalten, Überlebenskampf, Essstörungen, Regression, Psychosen

Purpur: Vetternwirtschaft, Mafia, Unbedingter Gehorsam ggü. Autorität, Gestörtes Verhältnis zur Sexualität, Angst vor Dämonen, Geistern und dem bösen Blick, Aberglaube, rituelle Gewalt, Menschen- und Tieropfer, Kannibalismus

Rot: Fehlende Selbstwirksamkeit, Egozentrik, Neurosen, Impulsivität, Chaos, Wut, (religiöse) Kriegs- und Eroberungszüge, (Blut)rache, Ausbeutung, Skrupellosigkeit, „der Stärkere gewinnt“, Intrigen, Fehden, Hexerei, Massaker, Vergewaltigungen, Plünderungen, Folter.

Blau: Negative Glaubenssätze/Skripte,Schwarz-Weiß-Denken, Intoleranz, Zwanghaftigkeit, Fanatismus, Fundamentalismus, ethnozentrisches Denken, Scham, (übertriebene/falsche) Schuldgefühle, Inquisition, spirituelle Misshandlung, unbedingter Gehorsam, Konformismus, Strenge, Selbstgerechtigkeit, Angst vor Glaubensabfall

Orange: Ichbezogenheit/Narzissmus, Konkurrenz, Leistungsgesellschaft, Materialismus, Nihilismus, Ausbeutung, Habgier, Perfektionismus, Elitedenken, Arroganz, Oberflächlichkeit, Lebewesen als Ware und Versuchsobjekte

Grün: Relativismus, Ablehnung jeglicher (auch natürlicher) Hierarchien, Gleichmacherei, „politische Korrektheit/Cancel Culture“, (kollektive) Schuldgefühle, „Selbstverwirklichungstrip“, Orientierungslosigkeit, „Patchwork-Spiritualität“, Opferbewusstsein

Da die integrale Theorie(n) Analogien zwischen individueller und geschichtlicher Entwicklung der Menschheit insgesamt sehen, müssen wir zwingend davon ausgehen, dass nicht nur in jeder/m einzelnen von uns noch Anteile all dieser Stufen schlummern, die noch nicht bewusst angesehen wurden, sondern auch, dass es sich gesamtgesellschaftlich so verhält. Ein weit verbreiteter, blinder Fleck ist auch die Naivität und Blauäuigkeit gegenüber dem Bösen, solange es nicht ausreichend im eigenen Inneren erkannt wird. Menschen, die annehmen, dass unsere Gesellschaft von weit mehr Kräften bestimmt wird als den offensichtlichen werden derzeit meist abwertend “Verschwörungstheoretiker” genannt. Es erscheint mir vor diesem Hintergrund jedoch tatsächlich naheliegend, dass auch in (post)modernen Gesellschaften Vetternwirtschaft, Korruption, mafiösen Strukturen, rituelle Gewalt usw. eine “Schattenrolle” spielen – gerade dann, wenn die Mehrheit diesen Umstand lieber aus ihrem Bewusstsein verdrängt. In welchem Umfang, lasse ich dahingestellt. Wenn nun in der derzeitigen Phase des Wandels einige derartiger Schattenstrukturen für einige deutlicher sichtbar werden, ähnelt das der allmählichen Bewusstmachung unbewusster Anteile in der Psychotherapie – und bringt damit früher oder später die Chance auf heilsame Integration.

Bewusstseinszustände

Vermutlich kennen viele von euch die “Bewusstseinsebenen” nach dem Psychiater David Ramon Hawkins. In dieser werden Gefühle je nach ihrer Schwingung geordnet. Dabei steht die Ebene 700-1000 für Erleuchtung und reine Bewusstheit, 500 für Liebe, wohingegen die niederen Ebenen, 200 und weniger, für Gefühlszustände wie Verachtung, Wut, Angst, Schuld und Scham stehen. Einigen von euch mag das zu esoterisch anmuten. Das Model wurde auch bereits einer gründlichen Kritik aus integraler Sicht unterzogen (z.B., dass hier Ebenen und Zustände gleichgesetzt werden, https://one-mind.net/hawkins-bewusstseinsebenen/).

Dennoch kennt es jeder aus eigener Erfahrung, dass sich manche Gefühle schwerer und enger, andere jedoch leichter und weiter anfühlen. Manche Gefühle und Zuständen werden als angenehmer empfunden und andere fügen nicht nur der Person, die sie empfindet, sondern, wenn sie ausagiert werden, auch den Personen des Umfelds Schaden zu: z.B. Aggression ebenso wie Autoaggression. Und jeder spirituell Suchende sehnt sich im Grunde danach, über den Tag verteilt, mehr Liebe als Angst zu empfinden und auszustrahlen. Wir könnten vielleicht sagen: Bestimmte Bewusstseinszustände machen anfälliger für böses Verhalten. Damit ist allerdings keinesfalls ausgeschlossen, dass auch das Böse sich bewusst bestimmter Zustände bedienen kann, um seinen Einfluss auszuüben oder zu vertiefen.

Quadranten

Bewusstseinslinien und Schatten

Das Böse steht außerdem in einem interessanten Verhältnis zu der Theorie vom “Schatten”, den “Teilpersönlichkeiten”, und dem Phänomen der Besessenheit. Dazu später mehr.

Das nächste Mal wird es um “Die Werkzeuge und Wirkweisen des Bösen” und darunter selbstverständlich auch um die Frage, was es mit dem Dämonischen auf sich hat, gehen.

Was ist eure Ansicht zum Thema? Habt ihr noch Ergänzungen, Korrekturen? Oder seht ihr etwas gänzlich anders?

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