„Jeder kann den Mystiker in sich entdecken und sein eigener Mystagoge werden“

Veröffentlicht von

Hubert Hagl

Gespräch mit Hubert Andreas Hagl, dem Gründer der „Integrale Mystik Academy“, Erster Teil

Hubert Andreas Hagl ist 1947 in Bayern geboren, studierte Hochbau und war lange selbständig tätig als Bauingenieur und Architekt mit dem Schwerpunkt biologisches, nachhaltiges Bauen und menschenwürdiges Wohnen. Er schreibt auf seiner Homepage, dass „strukturierter Ingenieur und visionärer Architekt zu sein“, ihm dabei geholfen hätte, rationale Weltbilder mit nichtrationalen, transzendenten zu verbinden. Er hatte selbst viele mystische Erfahrungen, das erste Mal mit zwölf Jahren. Er interessierte sich schon immer für Evolution, Geschichte, Kultur, Religion und Spiritualität und beschäftigte sich im Zuge dessen auch mit den integralen Theorien. Er hat eine Ausbildung in transpersonaler Psychologie und lernte bei Dr. Sylvester Walch drei Jahre „Holotrope Atemtherapie und Transpersonale Selbsterfahrung“.

Hubert, wann und wo hast du deine erste Erfahrung mit dem holotropen Atmen gemacht?

1985 habe ich in einigen Sitzungen in München am Haus von Rüdiger Dahlke und Thorwald Dethlefsen das holotrope Atmen kennen gelernt.  Thorwald Dethlefsen war in den 80er Jahren mit dem Buch „Schicksal als Chance“ berühmt geworden. Beide wandten die Methode im Rahmen einer Therapie an, um Geburtserlebnisse wieder in Erinnerung zu rufen. Ich habe dann auch gleich meine eigene Geburt erlebt. Tatsächlich kann man so unter Anleitung bis zu der Erinnerung an die Geburt gelangen. Das war zwar interessant, aber wichtiger erschien mir, dass es zu Einheitserfahrungen kam, wenn man sich durch das, was da wieder erlebt wurde, „durchgeschnauft“ hatte.

Die moderne Psychologie geht ja immer noch davon aus, dass das gar nicht möglich ist, sich an so etwas zu „erinnern.“

Ja, sie meinen, dass das Präverbale, die Zeit vor dem Spracherwerb, nicht im Bewusstsein gespeichert sein kann, weil die dazu notwendigen neuronalen Verschaltungen fehlen. Wir sind aber mehr als diese Verschaltungen.

Und du hast dich dann eigens darin ausbilden lassen?

Ja, angestachelt durch diese Erfahrungen, wurde mir empfohlen, nach Kalifornien an das Esalen-Institut zu gehen, wo der ganze Pool der transpersonalen Psychologen saß, Maslow und Stanislav Grof und andere. Grof verwendete Atemtechniken, die er bei Naturvölkern vorfand und in einigen spirituellen Praktiken von Mystikern üblich waren. Daraus entwickelte er das holotrope Atmen [eine gezielt herbeigeführte Hyperventilation, Anm.].

Die Baubranche und so auch die Architekturbranche entwickelte sich damals zunehmend zu einem Haifischbecken, so dass ich mich schließlich von dem Beruf zurückgezogen und die Ausbildung bei Sylvester Walch gemacht habe.

Wodurch unterscheidet sich deine Technik von der holotropen Atmens?

Wie gesagt, die Ereignisse, die bei der Therapie hochkamen, waren zwar hoch interessant, aber das markanteste war für mich die Erfahrung der Transformation und die Integration des Erlebten in der stillen Phase im Anschluss. Man kommt in einen beobachteten Zustand, wo man die Dinge, die hochkommen – das kann etwas Verdrängtes, aber auch etwas Kollektives sein – mit Staunen stehen lassen kann und in Frieden mit dem Erlebten kommt. Das ist der heilende Moment.

Zuerst wird eine tiefe Entspannung des ganzen Körpers angeregt, so dass man mit voller Aufmerksamkeit die Atmung und jede Faser des Körpers wahrnimmt. Dann wird  der Atem beschleunigt und vertieft. Angetriggert durch chaotische Musik kommt man in eine Art von Disharmonie. Nach einiger Zeit  strebt unser Gesamtsystem von Geist, Seele und Körper zurück in die Homöostase [ein Gleichgewicht im System, Anm.], in Harmonie mit dem All-Einen.

Ich habe schon immer beobachtet, dass die Leute, die das bewusst wahrgenommen haben, die stärkste Entwicklung in ihrer Persönlichkeit durchliefen. Es kommt darauf an, mit welcher Ausrichtung man an die Sache heran geht. So ist es mehr eine Meditationspraxis, weniger eine Psychotherapie. In der transpersonalen Psychotherapie selber wird  auf diese Ausrichtung nicht so sehr wertgelegt. Wenn ich bei meiner Erfahrung diese Ausrichtung auf das Göttliche aber mit hinein nehme, können ohne schwerwiegende Folgen auch bis dahin tief verborgene oder abgespaltene Persönlichkeitsanteile wieder in das Bewusstsein kommen. Denn der göttliche Kern ist immer heil und ganz. Das Gesamtsystem lässt nur jeweils nur das hochkommen, was transformierbar und integrierbar ist. Ich habe immer wieder erlebt, dass Menschen sich allmählich, Schale für Schale, in tiefere Schichten hineingetastet haben, durch deren Integration erstaunliche Entwicklungen und Heilungen geschehen.

Lehrst du diese Technik mittlerweile auch?

Ja, seitdem ich nun schon seit über 30 Jahren selbst und seit etwa 15 Jahren im engsten Freundeskreis praktiziere, Erfahrungen sammle und austausche, führe ich in Einzelsitzungen oder in Gruppen, bis 30 Teilnehmer, die Menschen heran an diese Entdeckung. Seit zwei Jahren gebe ich auch meine Erfahrungen weiter an Seelsorger, Therapeuten und kompetente Teilnehmer. Es kann jeder lernen und bei genügender Selbstkompetenz an Selbstverantwortliche weiter geben.

Was passiert bei den Menschen, die bei dir eine Atemerfahrung machen?

An dieser Stelle zwei Beispiele, die zeigen, wie mystische Erfahrungen sich in Prozessen entfalten können:

Eine Frau hatte schon einige Erfahrungen gesammelt. Dann löste sie gemeinsam mit ihren Töchtern belastende Familiengeheimnisse und symbiotische Verbindungen auf, die bisher über drei Generatsionen wirkten. Sie wünschte sich zum Geburtstag von ihrer Familie, dass diese alle gemeinsam eine Atemerfahrung machen würden. Es nahmen elf Leute daran teil. Sie selber, ihre Töchter mit Schwiegersöhnen, ihre Schwester und auch ihre Mutter im Alter von etwa 85 Jahren. Diese hatte Angst vor dem Sterben, die ihr bis dahin niemand nehmen konnte. Sie kam in den Sterbeprozess hinein und meinte anschließend sehr glücklich: „Jetzt weiß ich, was mir schönes bevorsteht.“ Sie schilderte ihr Erlebtes ähnlich wie man es von Nahtoderlebnissen kennt.  Es wurde eine wunderschöne Familienfeier.

Einmal kam ein katholischer Priester, ein  Asiate,  zu mir. Er haderte immer noch damit, dass sein längst verstorbener Vater in einem früheren totalitären Regime Polizist war. Nach dem Umsturz und Haft in einem Umerziehungslager  im nachfolgenden Regime wurde er alkoholabhängig und drangsalierte die Familie. Bei den Atemsitzungen fand der Sohn zu einer Versöhnung mit seinem Vater, weil er plötzlich verstand, dass alles schicksalsbedingt war und der Vater nicht anders konnte.

Bei einer anderen Erfahrung erlebte er einen Tänzer, der sich wunderschön zu harmonischer Musik bewegte. Sein Körper bestand aus tausenden von Bruchteilen von Metall und Porzellan. Wirbelnder Wind trug ihn tanzend. Der Körper zerfiel, weiter wirbelnd, in vielen Bruchteile. Vom Wirbelwind weiter getrieben, setzen sich die vielen Stücke wieder zu einem Körper zusammen. Dabei kam ihm eine Einsicht in das Mysterium der Eucharistie: Das Brot des Lebens, Christus, wird in Stücke geteilt. Wenn er selber Stücke davon in sich aufnimmt, hat er Anteil an seinem Leben, seiner Gegenwart, nicht nur einen Bruchteil, sondern als Ganzes, die in ihm als Leben zusammengesetzt sind. Seitdem kommt ihm diese Einsicht immer wieder, wenn er die Hostie in die Hände der Gläubigen legt.

Dieser Priester ist Pfarrer von sehr lebendigen, sogenannten muttersprachlichen, asiatischen Gemeinden in bayrischen Diözesen. Er ist „integral informiert“ und durch seine eigenen Erfahrungen hat er seine besondere seelsorgerliche Aufgabe verstanden. Die in Europa geborenen jugendlichen und jungen Erwachsenen in seinen Gemeinden kommen aus traditionellen, dogmenverhafteten (blauen) Elternhäusern. In Schule, Ausbildung und Studium werden diese Menschen nur noch mit Rationalität konfrontiert, kommen so ins trudeln und zweifeln. Sie werfen wegen asiatischer Loyalität gegenüber den Eltern den Glauben aber nicht gleich über Bord. Er ermutigt diese jungen Menschen mit dieser Atemerfahrung, den Mystiker in sich zu entdecken. So ermöglicht er ihnen transrationale spirituelle Einsichten. Er begleitet deren Christsein durch die rationalen Strudel. Nach meiner Ansicht hat er sich zu einen postmodernen, „integralen Moses“, oder „Christophorus“ entwickelt.

Noch mehr Erfahrungsberichte von Teilnehmern findet ihr auf meiner Homepage.

Die Fortsetzung des Interviews erscheint nächste Woche. Wir sprechen darin über die Hintergründe dieser speziellen Atemmeditation, ein mögliches Erklärungsmodell und wie es nach solch einer Erfahrung bei den meisten weitergeht. Ihr dürft gespannt sein!

Mehr Infos zu Hubert Andreas Hagl:

Hubert Andreas Hagl

Institut für Holotropes Atmen, Transpersonale Psychologie & Psychotherapie:

Dr. Silvester Walch

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

1 comments

Kommentar verfassen